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Ahrufer-Marathon Bad Neuenahr am 09.06.2020


Mehr als nur ein Trostpflaster 2.0

Der läuferische Ausnahmezustand hält an, das Virus hat die Welt praktisch unverändert fest im Griff. Fast drei Monate lang haben daher keine offiziellen Laufveranstaltungen mehr stattfinden können. Zwar sind allererste Lockerungen am Horizont erkennbar – so wird z.B. der Swiss Alpine unter stark veränderten Bedingungen Ende Juli durchgezogen werden und ich hoffe noch stark auf den Darß-Marathon am 19. und 20. September -, aber insgesamt wird der Laufkalender 2020 in der Umsetzung nur ein Schatten seiner Planung werden bzw. bleiben.
 

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Wenn es nicht eine Handvoll positiv Verrückter gäbe, die selbstlos Kleinstveranstaltungen mit Urkunde anböten, gäbe es zurzeit überhaupt nichts Zählbares zu laufen. Lange nicht abschließend seien hier beispielhaft Sylke Kuhn, die Cavaleiros, Wolfgang Gieler, Ralf Loeber oder ganz neu die Bettingens entlang der Isar genannt. Über Christian Hottas brauchen wir uns in diesem Zusammenhang gar nicht zu unterhalten. Auf jeden Fall müssen und dürfen wir Lauf-Waisen dankbar für jede Initiative sein, die uns die Gelegenheit bietet, die 42,195 km oder weiter offiziell abhoppeln zu können.
 

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Besonders nah von diesen Veranstaltern ist mir Wolfgang Gieler, und das nicht nur aufgrund des gemeinsamen Vornamens und derselben Wellenlänge. Vor drei Wochen hatte ich gerne die Gelegenheit zur Teilnahme an seiner „Sieben-Stunden-Challenge“ in der nahegelegenen Bonner Rheinaue genutzt, heute freue ich mich auf die Gelegenheit zu einer vergleichbaren Aktion in Bad Neuenahr, das gerade mal 30 km von meinem Wohnort Waldbreitbach entfernt liegt. Knappe 12.000 Einwohner weist das beliebte Kurstädtchen auf, zusätzliche Attraktivität erhält es durch das mit ihm politisch verbundene Ahrweiler mit seiner zu großen Teilen erhaltenen Stadtmauer.
 

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Erneut erscheine ich nicht alleine: Neben Jürgen, dem die Zufriedenheit über seinen ersten erfolgreichen Marathonlauf in der Rheinaue noch immer ins Gesicht geschrieben steht, bilden die erfahrenen Langstreckler Hanne und Jochen mit uns das Wiedtal-Quartett. Sechsmal sechs vermessene Runden á 6,8 km plus ein paar Zusatzmeter lautet die heutige Aufgabe. Ich habe keinen Plan, wo die Strecke verläuft, aber nach der Erfahrung von Bonn großes Zutrauen zu Wolfgang, daß sie wieder attraktiv sein wird. Auf dem Parkplatz am Apollinarisstadion kommt zeitgleich mit uns Joe aus Frankfurt an. Kaum eingetroffen, biegen Wolfgang und Dietmar ein, die bereits zwei Runden geschafft haben. Nach dem unvermeidlichen Gruppenfoto zum Start geht’s auch direkt los.
 

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Die den sechs Runden zur Marathondistanz fehlenden Meter haben wir mit zwei Umkurvungen des Parkplatzes schnell hinter uns gebracht. Wir vier Wiedtaler wollen eigentlich zusammenbleiben, aber Wolfgang und ich haben uns erst einmal eine Menge zu erzählen. Den Politologen und Ethnologen hat es beruflich nämlich schon mehrfach nach Afrika gezogen, und beim Thema Kenia ist er bei mir genau an den Richtigen geraten. Auch die Türkei wird intensiv beleuchtet. Während wir ausgiebig quasseln, sind Hanne und Jochen bereits über alle Berge, Jürgen hält sich noch bei mir bzw. uns. Die Lauferei ist zugunsten des Marschierens bald zu Ende, da Wolfgang nicht nur schon zwei Runden hinter sich, sondern auch noch Rücken hat und selbst vom ABC-Pflaster nicht gerettet wird, aua! Ganz in die Plauderei vertieft, ist meine erste Runde bald vorbei.
 

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Trotzdem hat die inkl. des Anlaufs keine Stunde gedauert, denn wo der lange Lulatsch entspannte Schritte macht, hat der etwas kurz geratene Autor Mühe, in emsigem Stakkato hinterherzuhecheln und halbwegs mitzuhalten. Auf den Parkplatz zurückgekehrt plündern Jürgen und ich erstmals die im Kofferraum deponierten Vorräte. Sechs oder gar sieben Stunden wollte ich nicht unterwegs sein, daher steige ich wieder ins Laufen ein und bin fortan mit Jürgen unterwegs. Schnell sind wir an der Ahr auf dem Uferradweg. Wunderbar ist es, am Wasser entlangzulaufen, ich liebe das. Weniger allerdings die Radfahrer, die in nicht geringer Zahl unterwegs sind, aber die genießen hier die gleichen Rechte wie wir. Die Orientierung ist dank dicker Kreidestriche ein Klacks, genauso perfekt wie in der Rheinaue.
 

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Am gegenüberliegenden Ahrufer erfreut uns eine Wasserfontäne, dahinter taucht das Altenheim auf, das politisch korrekt heute Seniorenresidenz zu heißen hat. Der Ahr weiter folgend unterqueren wir zunächst die B 266, kurz darauf die A 61. Beeindruckend sind die hohe Brücke übers Ahrtal und die parallel verlaufende Stromtrasse anzusehen. Nicht viel später wechseln wir die Ahrseite über eine Autobrücke und damit vom Stadtteil Heppingen nach Heimersheim (mit „s“ wohlgemerkt, nicht mit „z“, das liegt im Rhein-Sieg-Kreis). Wunderbar ist es, weiter durchs Grüne auszuschreiten, fast meditativ. Wenn die nervigen Radler nicht wären... Eine hohe Schallschutzmauer trennt uns von Straße und dahinterliegendem Gewerbegebiet, der Schallschutz funktioniert nur bedingt. An einer Wegekreuzung biegen wir nach rechts ab. Hier schließt Jürgen, der Tierfreund, direkt Freundschaft mit den auf einer tollen Weide mit Strauch- und Baumbestand grasenden Rindviechern.
 

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Wieder im ganz Grünen rätseln wir über den Sinn der in der Mitte des Wegs eingelassenen Art Rasengittersteinen, dahinter kommen wir nicht. Also hinter den Sinn, nicht die Steine. Wolfgang hat größte Bedenken, daß wir den Abzweig nach links über die Wiese verpassen, aber wie will man vier dicke Pfeile übersehen? Er kennt wohl seine Pappenheimer. Eine Holzbrücke bringt uns über einen kleinen Bach und schon sind wir wieder auf dem Rückweg. Den stellt Ihr Euch am einfachsten wie einen Kochlöffel mit zwei gleichen Enden vor, das trifft es. Oder Ihr schaut Euch das Bild oben rechts an. Auf dem Rückweg der zweiten Runde treffen wir auf Dietmar, der dem Vernehmen nach heute seinen 750. (!) Marathon/Ultra absolviert. Herzlichen Glückwunsch, lieber Dietmar!
 

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Da Hin- und Rückweg gleich sind, sollte man meinen, nichts Neues entdecken zu können. Weit gefehlt! Nicht nur sticht der hübsche Heimersheimer Bahnhof mit dahinterliegendem Weinberg ins Auge, auch der Reiher, den wir später an der Ahr entdecken. Über die schon beschriebene Autobrücke wechseln wir wieder die Uferseite, zwischen uns und dem Parkplatz liegt nur noch die Berufsbildende Schule Ahrweiler. Was wir da sehen (müssen), macht uns nachdenklich. Und zwar nicht im positiven Sinn. Viele Berufsschüler stehen dort herum, kommen oder gehen. So viele von denen sind übergewichtig mit erkennbar null Körperspannung, rauchen können viele von ihnen. Und das gepaart mit häufig ausdruckslosen Gesichtern inkl. leeren Augen, oft auch unzweideutiger Herkunft. Heinrich Heine kommt mir in den Sinn: „Denk’ ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“
 

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Ja, so drehen wir Runde um Runde, und zu Beginn der fünften – er sagt nichts, ich merke es aber sofort – wird es zäh für meinen Freund Jürgen. Aber die Rettung ist nah. Wie in der Rheinaue steht auch heute Marco an der Strecke, nur diesmal inkl. eines gut ausgestatteten VP: Bananen, verschiedene Riegel, Wasser und Cola sind für umme am Rastplatz zu haben. Insbesondere die Cola baut Jürgen wieder auf, zwei Reserveflaschen für die letzte Runde werden unauffällig am Ufer gebunkert. Danke, lieber Marco, das war wieder mal ein ganz feiner Zug von Dir! Wer Deine Geschichte kennt, weiß es umso mehr zu schätzen. Die Reserveflaschen werden auf dem Hinweg der sechsten Runde halb und auf dem Rückweg ganz geleert, so ist sein Überleben gesichert. Jet müd, aber mit stolzgeschwellter Brust erreicht er zum letzten Mal das „Marathontor“ des Stadions und damit km 42,195. Geschafft, sein zweiter Marathon nach der Rheinaue ist im Sack!
 

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Hanne ist bereits äußerlich wiederhergestellt, freut sich über ihren ersten Marathon des Jahres und 67. insgesamt. Das sollte doch mit den hundert noch klappen können, oder? Mir ist das sehr moderate Tempo so gut bekommen, daß ich am nächsten Tag durchaus hätte laufen gehen können, was ich am übernächsten völlig komplikationslos ausgiebig getan habe. Aber ganz ehrlich und unter uns: Ich freue mich schon auf den ersten größeren Marathon inmitten zahlreicher Mitstreiter und vor Zuschauern, es wird Zeit. Unseren Lauftreff starten wir übrigens in der kommenden Woche, die rechtlichen Bedingungen lassen es zu. Danke erneut, lieber Wolfgang, für Dein Engagement, das nur zufriedene Gesichter hinterlassen hat.
 

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Streckenbeschreibung:
Flacher, autoverkehrsfreier und vermessener 6,8 km-Kurs über Asphalt und Wiese, weitestgehend entlang der Ahr in Bad Neuenahr.

Startgebühr:
0 €

Weitere Veranstaltungen:
Frei wählbar, jeder läuft so viele Runden, wie er möchte.

Leistungen/Auszeichnung:
Urkunde

Logistik:
Keine

Verpflegung:
Selbstverpflegung

Zuschauer:
Spaziergänger, Radfahrer