27. Advent-Waldmarathon Bad Arolsen am 01.12.2007
Zurück zu den Wurzeln oder: Wie es früher einmal war
Arolsen. Wenn dieses Wort fällt, zuckt unser Lauftreffleiter, Peter Lehnert, noch heute zusammen. Hier gab er im Jahr 1990 gemeinsam mit Kurt Thamm, Dieter Weber und Josef Hoß sein Marathondebut. War den anderen dreien das Ankommen noch vergönnt, mußte er ausgezehrt, auch von großer Kälte und starkem Wind und gebeutelt von kalten Getränken leider bei km 35 aussteigen. Das schmerzt ihn noch heute, auch wenn er später viele Läufe erfolgreich absolviert hat. Arolsen. Hessisch Sibirien eben.
Getreu dem Motto: „Gelobt sei, was hart macht!“ gebe ich in diesem Jahr meinem Heimatlauf Siebengebirgsmarathon einen Korb, fliege NICHT ins Warme nach Florenz und wage mich in die nordhessische Wildnis. Mer mööt jo emol jet aaneret maache! Zarte Erinnerungen aus meiner aktiven Zeit als Panzeroffizier kommen hoch: Fritzlar und Arolsen, die Panzerbataillone 63 und 64 - lang, lang ist’s her. Allerdings habe ich es damals von Stadtallendorf (PzBtl 144) aus nicht geschafft, diese Standorte zu besuchen. Zumindest landschaftlich ein Fehler, wie sich mir schnell zeigt, aber ich habe ja neben der Anreise noch 42 km Zeit, dieses Versäumnis auszubügeln.
In Anbetracht der späten, für mich aber günstigen Startzeit um 11.00 Uhr beschließe ich, erst am Morgen anzureisen. Wobei die Anfahrt über 270 km im Vorfeld sicher kein Pappenstiel ist. Ich starte um 6 Uhr und bin über die Autobahnen 3, 1, und 44 um kurz vor 9 Uhr vor Ort in Arolsen, entschuldigung, BAD Arolsen, der ehemaligen Residenzstadt der Fürsten von Waldeck-Pyrmont mit heute rund 8.300 Einwohnern, 45 km westlich von Kassel gelegen. Nach kurzem Suchen finde ich im Stadtteil Wetterburg die Twisteseehalle, wo die Startnummernausgabe stattfindet und treffe, als hätten wir uns verabredet, vor der Tür sofort Klaus Duwe. Drinnen stellt er mir seine sympathische Frau vor und schon ist mit den beiden Kurzweil garantiert.
Das Ganze in der Halle wirkt schon etwas anders, als ich es sonst gewohnt bin. Wer wie ich marathonmäßig mit Bib- und ChampionChip, umfangreicher Marathonmesse und viel Gedöns aufwachsen ist, bekommt hier gezeigt, daß es früher einmal überall anders, nämlich so wie hier, gewesen sein muß. Und daß es auch bei über 500 Startern (516 Finisher) wunderbar funktioniert. Und zwar nach wie vor.
Alles strahlt sehr viel Gelassenheit aus, ein kleiner Verkaufsstand, es gibt belegte Brötchen, Kuchen und Kaffee zu kaufen. Viele Läufer/innen kennen sich und nutzen die (zweite?) Frühstücksgelegenheit weidlich aus. Den Organisator, Heinrich Kuhhaupt, sehe ich auch sehr schnell und bin auf das Weitere gespannt. Arolsen, so habe ich im Vorfeld gelernt, ist berühmt/berüchtigt für zwei Dinge: erstens für Heinrichs legendäre Rede und zweitens für eiskalte Duschen. Beides habe ich erleben dürfen.
Pünktlich um 10 Uhr hat der Endsechziger Heinrich für zunächst 35 Minuten ein Mikro in der Hand und vor dem Mund, um seine Rede anschließend am Start fortzusetzen. Er wettert gegen die heutigen Marathonveranstalter, die, von Sponsoren mit dicken Summen geködert, andere Veranstaltungen mit Parallelwettbewerben wie Halbmarathon, Staffeln und gefährlichen Stocktechniken verwässern. So etwas gäb’s bei ihm nicht. „Sprach mich doch so ein Theken-Franz an, 90 Kilo, dicke Wampe: He , Heinrich, haste schon mal den Suisse Alpin (Anmerkung: harter Bergmarathon) gemacht? Und haut mir seine Medaille um die Ohren. ??? Das hat mir keine Ruhe gelassen, ich die Ergebnislisten durchforstet und was finde ich? Teilnahme am 8 km-Staffelwandern!“ Brüllendes Gelächter im Saal...
Kurz nach halb elf geht’s dann prozessionsmäßig einen knappen Kilometer zum Start auf der Staumauer des Twistesees. Sehr schöne Geste von Heinrich: er ließ die „Alten und Gebrechlichen“ (O-Ton Volker Berka vor Ort) schon eine Stunde vorher starten, damit auch sie das Zeitziel packen. Ein ganz toller Service, denn so kann auch ein 81jähriger Werner Sonntag bei seinem 389. Marathon noch zeitgerecht das Ziel erreichen. Das ist genau das Maß an Respekt, das diese großen Altersläufer verdient haben. Für mich sind sie absolute Vorbilder und ich wäre glücklich, mich in diesem läuferisch biblischen Alter noch derart bewegen zu können.
Der Startschuß erfolgt pünktlich um 11 Uhr. Die ersten zwei Kilometer führen auf einem schmalen Asphaltweg auf der westlichen Seite um den See herum, bevor der Stausee parallel zur B 450 überquert wird. Nach einem Kilometer sehe ich einen blinden Läufer, der von einem Zweiten an einem Seil geführt wird. Beide sind gut gekennzeichnet. Mit dem Ausdruck höchsten Respekts, der dankbar angenommen wird, schlüpfe ich vorbei. Auch wenn ich heute bestimmt keine Bäume ausreißen will, kann ich doch erst nach ca. 3 km einigermaßen frei mein Wohlfühltempo laufen. Mit dem Wohlfühlen ist es untergrundmäßig allerdings schnell vorbei, denn schon sehr bald laufen wir auf extrem matschigem Untergrund oder abwechslungsweise auf frischem Schotter, dem die Festigkeit noch fehlt. Am Ende sahen alle wie richtige Crossläufer aus. Das einzig Trockene im Ziel waren meine Schuhe, ich hatte mich richtigerweise für meine Trailschuhe (Gore Tex) entschieden.
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