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Berlin-Marathon am 30.09.2007


Berlin, Berlin, wir liefen in Berlin!

Im Frühjahr beim tollen Marathon in Hamburg hatte ich schon einen Vorgeschmack von dem bekommen, was mich heute erwarten sollte. Ob ich zu viel erwartet hatte? Vermutlich ja, denn am Ende war ich zwar nicht gerade enttäuscht, aber ziemlich ernüchtert.

Einen deutlichen Dämpfer hatte meine Stimmung schon im Vorfeld erhalten, denn der geplante Kurzurlaub mit meiner Frau von Freitag bis zum Feiertagsmittwoch fiel aus. Die für die Betreuung unseres jugendlichen Nachwuchses eingeplanten Großeltern mußten kurzfristig absagen und so war’s halt Essig mit der trauten Zweisamkeit und ich beschloß, mich zeitlich und inhaltlich ausschließlich auf das Laufen zu konzentrieren. Das Auto wurde gestrichen und zur Schonung von Nerven und zum Zeitgewinn auf die Schnelle noch ein Flieger gebucht.

So reise ich also am Samstagmittag ganz vornehm auf Kranichflügeln von Köln-Bonn nach Tegel. Die nette Stewardess aus Köln berichtet von ihren bisherigen vier Halbmarathons und daß ihr Freund den Marathon unter 3 Stunden laufen kann. Fachsimpelei schon im Anflug. Mit dem Bus bin ich dann ruck-zuck am Messegelände, um die Startnummer abzuholen, mich nach dem einen oder anderen Schnäppchen umzuschauen und vielleicht Bekannte zu treffen. Auf dem Weg spricht mich Eric aus Paris an und bittet mich – glücklicherweise auf Englisch – ihn zur Startnummernausgabe zu führen. Das mache ich gerne und habe direkt einen netten Gesprächspartner. Den Paris-Marathon sei er schon fünf mal gelaufen, aber wirklich toll sei er nicht. Das bestätigt entsprechende Laufberichte, die ich gelesen habe.

Die Messe ist groß, das Angebot vielfältig, ein riesiger Kommerztempel. Ich erwerbe ein paar Kleinigkeiten und finde mich schließlich am Nudelstand ein, wo ich mir für € 3,50 einen Bon kaufe, um 10 Sekunden danach von einem Mitläufer einen Gutschein geschenkt zu bekommen. Shit happens. So beglücke ich mit dem Gutschein halt einen Dritten.

Meine Startnummer ergattere ich schnell und ohne Wartezeit, die Startertüte enthält ein paar kleine Warenproben und viel Werbung. Beim Test des Zeitmeßchips muß ich dann doch eine gute Viertelstunde anstehen. In der Wartezeit beobachte ich einen Bereich, wo man sich medizinisch hinsichtlich der eigenen Lauffähigkeit untersuchen lassen kann. Eine prima Einrichtung, wie ich meine. Später höre ich von einer Läuferin, der Startverbot erteilt wurde (sie wurde aus der Wertung genommen). Angeblich hat sie aber ihr Startgeld zurückerhalten, das finde ich fair. Daneben erkenne ich den Renndirektor von Hamburg, Wolfram Götz, im Gespräch mit einigen englischsprachigen Gästen und bemerke beruhigt, daß auch er offensichtlich im Englischen nicht sooo sattelfest ist. Ansonsten genieße ich es, mich einfach mal ohne Zeitdruck von der Menge treiben zu lassen und freue mich auf morgen.

Nach dem Besuch der Marathonmesse fahre ich abends nach Tegel zurück, wo ich mich in der dortigen Julius-Leber-Kaserne einquartiert habe. Noch ein dickes Nudelgericht sowie ein Salätchen im Offiziercasino und ein Bierchen zum Einschlafen – gute Nacht.

Der Morgen beginnt mit einem tollen Frühstücksbuffet ab 06.15 Uhr, wo ich mal wieder die leckersten Sachen, na ja, zumindest teilweise, stehen lassen muß. Dort treffe ich auch meinen Kollegen Markus Boehme und seinen Freund Oliver. Beide sind - sagen wir mal vorsichtig - suboptimal vorbereitet. Keiner der beiden hat auch nur einen 30er im Vorfeld gelaufen, trotzdem werden sie in 4:08 bzw. 4:09 Std. einlaufe, Respekt. Ich möchte aber nicht wissen, wie sie sich heute fühlen. Mit der U 6 geht’s über den Bahnhof Friedrichsstraße zum Startgelände, die Kleiderbeutelabgabe gestaltet sich problemlos. Ein Problem ist allerdings der unabdingbar notwendige Besuch des Dixi-Klos. Ich warte geschlagene 30 Minuten in der Schlange, um 9 Minuten vor dem Start wieder herauszukommen. Mich überrascht dann der doch recht lange Weg von der Reichstagswiese zum Startblock E, denn ich stehe erst 30 Sekunden vor dem Startschuß parat. Wenn ich gewusst hätte, wie viele Bäume und Sträucher ich auf dem Weg zum Start passieren würde...

Orange Luftballons steigen in Massen auf, dann noch gelbe und schon setzt sich der Lindwurm in Bewegung. Ich benötige rund dreieinhalb Minuten zum Überschreiten der Startmatte, sehe den Regierenden Bürgermeister Wowi auf dem Startpodest und sofort wird mir “warm” ums Herz... Das Wetter ist optimal, kein Wind, keine Sonne und geschätzte 13 bis 14 Grad um 9 Uhr. Wir sind alle der Meinung, daß es für Haile bezüglich seines Weltrekordversuchs heute keinerlei Ausrede geben kann, was er ja auch eindrucksvoll bestätigen sollte.

Gut, daß ich mir heute keine besonders gute Zeit vorgenommen habe, denn der Kurs ist auf den ersten Kilometern sehr voll. Logisch, bei geschätzten 35 – 36.000 Teilnehmern (32.530 Erfolgreiche m/w) ist der Platz auch auf breiten Straßen begrenzt. Unmittelbar am großen Stern (Siegessäule) erblicke ich unseren französischen Marathon-Weltenbummler Michel, der mit seinem Plakat „Haltet durch, Zuschauer!“ die Leute amüsiert. Ob dieses Maskottchen seine Starts eigentlich noch selber bezahlen muß? Eine solche Stimmungskanone müßte eigentlich Freistarts erhalten.

Meiner Zielzeit 3:50 Std. entsprechend gestalte ich die ersten Kilometer eher verhalten, für’s Fotografieren ist heute verabredungsgemäß der Klaus zuständig. Es dauert bis hinter den Ernst-Reuter-Platz nach km 3, bis ich einigermaßen frei laufen kann. Hinter mir ertönen laute Sprechchöre, dann werde ich von einer Horde hochmotivierter Spanier überholt, sie sind nur 5, machen aber Krach für 50. Bei km 5 kommt die erste Wasserstelle. Durch die Bezirke Tiergarten und Alt-Moabit passieren wir bei km 6 und 7 das neue Kanzleramt und den Reichstag. In der Friedrichsstraße laufen wir genau auf den Friedrichsstadtpalast zu, den ich schon immer mal besucht haben wollte. Jetzt gerade erscheint es mir doch eher unpassend zu sein. Kurz vor km 10 dann der erste Verpflegungspunkt, er ist mit Wasser, Tee und Iso gut bestückt. Obwohl ich einigermaßen flott unterwegs bin, gibt es offensichtlich doch viele Unerfahrene oder eben schlicht Rücksichtlose unter den Läufern. So wird rigoros die Straßenseite komplett gewechselt, um ja den ersten Wasserstand zu erreichen, anstatt den dritten oder vierten. Platz ist jedenfalls genug da und dieses Verhalten provoziert bei Einigen berechtigterweise herzhafte Flüche, den der eine oder andere Mitläufer gerät ins Straucheln. Km 10 erreiche ich in 53 Minuten und fühle mich prima, es läuft wie geschmiert.

Gutes Zuschauerinteresse später am Alex(anderplatz), das die Internationalität des Berlin-Marathons widerspiegelt. Aller Herren Länder sind hier vertreten, ich kann nicht jede Sprache identifizieren, die vielen Plakate helfen aber etwas. A propos Zuschauer: Die behauptete 1 Million halte ich für gewaltig übertrieben. Wenn es die Hälfte war, war es viel. Man stelle sich eine Reihe Zuschauer vor, die Schulter an Schulter vom ersten bis zum letzten Meter, also 42.195, stehen. Lassen wir das 50.000 Menschen sein. 50.000 gehen 20 mal in 1 Million, das bedeutet: auf jeder Seite müssten im Schnitt die Leute vom ersten bis zum letzten Meter jeweils in 10er Reihen gestanden haben, im Leben nicht. Die Stimmung empfinde ich auch als insgesamt durchaus durchwachsen, in Hamburg war sie mindestens genau so gut. Und es fiel kein Regen in Berlin und war auch nicht sonderlich kalt.

Ab km 12 nähern wir uns dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und ich frage mich ernsthaft, ob dieser in der deutschen Hauptstadt liegt. Eine durchaus hörenswerte türkische Band heizt vom Lastwagen aus an, die Gesichter und die Ladenbeschriftungen sprechen eine deutliche Sprache: hier ist alles fest in türkisch/arabischer Hand. Am kaum weniger problematischen Park Hasenheide (insbesondere hinsichtlich der dort sehr aktiven Drogenszene) geht es wieder in gemütlichere Gefilde. Auf der „General-Strecke“ Gneisenau-, Yorck- und Goebenstraße sehe ich etliche sehr schöne große Häuser, die erfreulicherweise erhalten geblieben sind.

An der Grunewaldstraße ist Halbzeit. 1:50 Std., super. Ich treffe auf einen Organisationsmitglied des Wyker Stadtlaufs auf Föhr, wo wir unseren Sommerurlaub verbracht haben und bei dem von unseren 9 dort verweilenden Familienmitgliedern 7 angetreten sind. Ein schöner Lauf in angenehmer Umgebung. Genau so erkenne ich am Laufhemd Teilnehmer des letztjährigen Brückenlaufs auf der A 73 bei Suhl. Der war klasse, Ihr Thüringer! Schön ist, daß bestimmt alle 2 Kilometer eine Band aufspielt. Allerdings ist das nicht so ganz nach meinem Geschmack, denn der Jazz überwiegt bei weitem.

Weiter geht’s am Schöneberger Rathaus vorbei bis zum äußersten Westen des Kurses. Die versprochene tolle Stimmung am „Wilden Eber“ bei km 28 kann ich bestätigen. Sicher wird sie auch dadurch beflügelt, daß der dortige Sprecher gerade den Weltrekord des sympathischen Haile Gebrselassie bekannt gibt. Leider habe ich den Eber selber aber nicht entdecken können. Im Bereich der Kreuzkirche (km 29) sehe ich den ersten Teilnehmer, der das Rennen aufgibt. Er ist aber noch gut zu Fuß (gehend) und ich frage mich, was ihn veranlaßt, sich angesichts von gelaufenen 29 km nicht durchzubeißen. Eine Läuferin vor mir trägt einen Werbeaufdruck eines Unternehmens aus Cagliari, der sardischen Hauptstadt. Ein „Forza Sardegna!“ zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ach, wie einfach ist es doch manchmal (aber leider nicht immer), Frauen glücklich zu machen!

Bei den Verpflegungsstellen gibt es jetzt auch Bananen und Äpfel. Dies ist sicherlich nicht schlecht, aber es gibt auch wesentlich kleinere Veranstaltungen, z. B. beim Hunsrück-Marathon, wo Gels gereicht werden. Bezüglich des Preis/Leistungs-Verhältnisses in Berlin mache ich mir meine ersten Gedanken. Klar, wenn man einen Haile und viele andere Weltklasseathleten m/w haben will, zahlen das im wesentlichen Deppen wie ich. Aber der Größe der Veranstaltung wäre etwas mehr an Leistung durchaus angemessen gewesen. Im übrigen war das Benutzen des ÖPNV (Bus/Bahn) NICHT inbegriffen. In Hamburg, Bonn, Frankfurt oder Köln ist das ganz anders. Teilweise sogar für zwei Tage und auch für Begleitpersonen. Nun ja, Berlin hat es wohl nicht nötig.

Ab km 30 beginnt, wie so häufig, das große „Sterben“. Die ersten liegen auf bereitgestellten Pritschen und lassen sich massieren. Wie haben die sich nur vorbereitet? Hier wummert endlich, leider zum einzigen mal, eine Rockband.  Ab km 32 wird’s für mich bekannt: der Ku’damm mit KaDeWe, Café Kranzler & Co. sind eine Augenweide, der Zuschauerzuspruch ist sehr ordentlich. Über die Tauentzienstraße geht es über die Potsdamer Straße weiter zum gleichnamigen Platz, den ich bisher noch nicht kannte. Hier muß ich mittlerweile schon ordentlich „beißen“. Als Optimum konnte ich mir zu Beginn 3:40 Std. eventuell vorstellen und bin nach wie vor knapp auf entsprechendem Kurs. An Konzerthaus und Staatsoper vorbei folgt nun das Schaulaufen ab der Schloßbrücke auf den letzten gut 1,5 km. Ich sehe mit Befriedigung, daß der „Palazzo Protzo“ (ehem. Palast der Republik) mittlerweile völlig entkernt ist und die Reste wohl bald beseitigt sein werden. Unter den Linden weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Das ist schon großes Kino!

Ich sehe das Brandenburger Tor und bin bestrebt, das Tempo zu halten. Schade, daß diese großen Momente so schnell vorbeigehen! Hoffentlich ist wenigstens das Foto etwas geworden. Ich übersehe doch tatsächlich die beiden großen Videowände, auf denen ich mich eigentlich betrachten wollte. Schade, Anstrengung macht wohl eindimensional. In 3:38:46 Std. bin ich dann im Ziel und mit mir höchst zufrieden. Höchst unzufrieden bin ich mit der erbärmlichen Verpflegungstüte, die uns ausgehändigt wird. Zwei Minikekse, ein Ballisto, ein Erfrischungstuch und ein Flasche dubioses aromatisiertes Wasser empfinde ich als armselig. Etwas gemildert wird mein Zorn, als ich, mehr zufällig, einen Helfer mit einer Kiste Bananen entdecke. Das hilft zum Überleben, ist nach dem Lauf aber sensorisch nicht mehr so prickelnd. Später sehe ich dann auch noch einen Bierstand, ziehe dem aber – der Lautner Toni möge es mir verzeihen – ein Red Bull vor. FEHLER! Das Zeug schmeckt grauslich, aber ich würge es hinunter und es ist zumindest nicht postwendend wiedergekommen. Wie kann man so etwas mögen?

Meinen Kleidersack habe ich schnell wieder und begebe mich zu den Duschzelten. Diese sind vorbildlich: ein Vorraum mit Pritschen und dahinter ein zweites Zelt, in dem am First ein Wasserrohr verläuft, aus dem an etlichen Punkten schön warmes Wasser kommt. Gerade eingeseift höre ich aus dem Vorraum plötzlich große Stimmung. „Hier sind wir!“, höre ich und vielstimmiges Lachen. Ich kann mir darauf zunächst keinen Reim machen. Zurück an meinem Kleiderplatz klärt sich die Situation sofort: auf meinem Stapel liegt – ein spitzenbesetzter Tanga mit Rosenmuster. Kurz darauf kommt auch Luisa aus Dänemark wie Gott sie schuf aus der Dusche, trocknet sich in aller Seelenruhe ab und kleidet sich wieder an. Respekt für diesen Mut und wir hatten unseren Spaß!

Eine Weile betrachte ich noch das Geschehen vom Reichstag aus und mache mich dann auf den Rückweg zum Flughafen Tegel. Dort bin ich zweieinhalb Stunden vor dem Abflug und versuche, auf einen früheren Flieger umzubuchen. Ja, kein Problem, aber das macht 50 Mäuse. Das sehe ich nicht ansatzweise ein und setze mich entspannt ins Starbucks. Dort treffe ich diverse Mitstreiter. Auch Steffen Nix, der sympathische Düsseldorfer, ist im vierten Marathon erstmals unter vier Stunden geblieben und entsprechend gelöst. Wir tauschen viele Erfahrungen aus. Im Flieger lerne ich dann noch den netten Ulrich Lohner kennen und die Zeit des Rückflugs verläuft wie im Fluge (wieder solch ein intelligentes Wortspiel...).

Mein Fazit: Man sollte Berlin gelaufen sein, DER deutsche Marathon gehört unbedingt zu einer Sammlung. Allerdings wird nach meinem Dafürhalten zu viel Wirbel darum gemacht, die kolportierten Zuschauerzahlen stimmen nicht ansatzweise und das Preis/Leistungs-Verhältnis ist verbesserungsfähig. Es gibt durchaus mindestens Gleichwertiges.

Streckenbeschreibung:
Punkt-zu-Punkt-Stadtkurs, flach. Nicht unbedingt bestzeitfähig in Anbetracht der Läufermassen.

Startgeld:
55 - 95 € je nach Zeitpunkt bei Anmeldung für den Marathon, keine Nachmeldemöglichkeit.

Zeitnahme:
Champion-Chip

Weitere Veranstaltungen:
Inlining über 42 km, Mini-Marathon über 4,2 km und Bambinilauf (alles am Vortrag).

Auszeichnung/Startpaket:
Medaille, Soforturkunde, kleine Werbegeschenke.

Logistik:
Ausreichend dimensioniert auf und um das Reichstagsgelände.

Verpflegung:
Alle 4-5 km Erfrischungs- (Wasser) bzw. Verpflegungspunkte (Mineralwasser, isotonische Getränke, Tee, später Bananen und Äpfel).

Zuschauer:
Wesentlich weniger als angekündigt (max. die Hälfte), gute Stimmung insbesondere an einigen besonderen Punkten.