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9. Brixen Dolomiten-Marathon am 07.07.2018


Ein Lauf zum Niederknien

Mut machen sie einem ja schon: „Der Weg wird steinig, der Weg wird nicht leicht, doch jedes Ziel wird irgendwann erreicht. Den Himmel im Blick und kein' Schritt zurück, jeder für jeden, und dennoch für sich. Eisiger Wind, der Schmerz mit dabei, das Ziel ganz oben, wir fühlen uns frei. Schritt für Schritt, nun brechen wir auf und so beginnt dieser Lauf. Jeder ist Sieger, es gibt keinen Verlierer, ob spät oder früher, im Ziel sehen wir uns wieder. Run to the limits! Vom Wind verlangt, von Schmerzen gejagt, es wird nicht leicht, doch wir bleiben hart. Bevor wir scheitern, bleiben wir kurz stehen, wollen unser Bestes geben. Der Puls, der Atem, der Krieg gegen des Geist, der Schweinehund, der sich aufbäumt und beißt. Wir rennen weiter, wir bleiben nicht stehen, die Fahne am Ziel wird für uns alle wehen!“

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So heißt es in der leicht martialischen Hymne „Jeder ist Sieger“ über den alpinen Marathon von Brixen auf den Hausberg Plose, für den Philipp Burger von der Gruppe Frei.Wild, ein gebürtiger Brixener, verantwortlich zeichnet. Und bei genauer Betrachtung spiegeln diese Worte für wohl die meisten von uns ganz treffend die Umstände und das Wechselbad der Gefühle auf dieser fordernden Strecke wider: Knapp zweieinhalbtausend Höhenmeter aufwärts, gepaart mit knapp 600 Metern bergab, Ziel auf dem Gipfelplateau über zahlreiche schmale Wege. Spätestens nachdem ich Manuela und Carsten Grohs Video über ihre letztjährige Teilnahme gesehen habe, war es um mich geschehen: Da muß ich hin! Und weil Südtirol immer eine Reise wert ist, bleiben wir auch direkt eine ganze Woche. Und schon hat sich der Ruf der Veranstalter für die Region auch ausgezahlt.

“Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.” U.a. mit dieser Weisheit von Oskar Wilde im Gepäck am Freitag in aller Herrgottsfrühe angereist, führt uns der erste Weg direkt in das Herz von Brixen zur Startnummernausgabe, denn sicher ist sicher. Am schönen Domplatz – dazu gleich mehr – kann man seine Unterlagen am Vortag zwischen 13 und 20 Uhr abholen, und zur Not noch am Samstag von 6 bis 7 Uhr. Der Starterbeutel ist gut gefüllt, das tolle Finishershirt gibt es heuer bereits als Vorschußlorbeeren und nicht erst im Ziel. Brixen als eine der ältesten Städte Tirols und mit knapp 22.000 Einwohnern drittgrößte Südtirols besticht durch eine wunderschöne, historische Architektur. In der mittelalterliche Altstadt befinden sich der Brixner Dom mit dem angrenzenden Domkreuzgang, der Frauenkirche und der Johanneskapelle, die Hofburg (der ehemaligen Fürstbischöfe), das Priesterseminar, die beiden Laubengassen, das Mutterhaus der Brixner Tertiarschwestern, das Klarissenkloster, das Kapuzinerkloster, die Pfarrkirche St. Michael sowie die evangelische Kirche St. Gotthard und St. Erhard. Zu jedem Glanzlicht könnte man einen eigenen Reiseführer verfassen, daher erwähne ich lediglich den Dombezirk als unbedingt zu besuchendes Muß, denn der beherbergte bis 1964 den Bischof mit seiner Verwaltung, bevor diese 1964 nach Bozen verlegt wurde.

Untergekommen sind wir in einem sehr schönen Hotel im rund 25 Autominuten entfernten Terenten, etwas abseits vom allergrößten Trubel. Denn unsere sonst angestrebte Sommerferienvermeidung hat bei dieser Terminsetzung natürlich nicht funktioniert. Früh am Samstag geht es nach einem noch früheren Frühstück los, denn der Startschuß wird bereits um 7:30 Uhr erfolgen. Einen günstig gelegenen Parkplatz finde ich im Parkhaus Dantestraße, für das man ein vergünstigtes Tagesticket (5 €) auf dem Domplatz hat kaufen können.
 

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Auf dem ist bereits ordentlich Betrieb, denn die (Vor)Anmeldelage ist gut: 372 Einzelteilnehmer (davon ein Viertel Frauen) wollen gemeinsam mit 37 Vierer- und 48 Zweierstaffeln hoch hinaus. Das trotz zunächst bedeckten Himmels gute Wetter hat allerdings Gefährliches im Gepäck: Die hohen Temperaturen mit sehr viel Sonnenschein könnten durch heftige Gewitter begleitet sein. Dies wurde im vorvergangenen Jahr Bernie und Karl-Heinz zum Verhängnis, denn die beiden Unglücklichen mußten mit einigen anderen Mittätern zu ihrer eigenen Sicherheit wenige km vor dem Ziel aus dem Verkehr gezogen werden. Diese Riesenenttäuschung wird mir hoffentlich heute erspart bleiben. Werde ich nach meinen alpinen Einsätze an der Jungfrau, am Matterhorn, auf dem K78 in Davos, im Karwendel oder dem grandiosen 5,5 km-Berglauf in St. Moritz mit 1.000 Höhenmeter erneut ein wolkenloses Spektakel erleben?

Zunächst gilt es jedoch, einen günstigen Platz in den Schlangen vor den drei (!) Doppel-Dixis (Männlein und Weiblein getrennt) zu ergattern. Der niederländische Kollege aus Tilburg checkt schnell die Konkurrenz, aber, Junge, das bin ich doch gar nicht. Bei alten Männern zählt nur noch das Ankommen in Würde. Daniela und Steffen, gute Bekannte vom Rheinsteig-Erlebnislauf bzw. meinem Wiedtal-Ulratrail, erfreuen mich durch ihre Anwesenheit, und auch einige weitere liebe Lauffreunde geben sich ein Stelldichein. Sogar der Chef ist zur Dienstaufsicht erschienen, ihn wiederum beaufsichtigt seine bessere Hälfte. Beide sind heute für die Hochglanzfotos zuständig.

Vom Moderator und der Veranstaltungshymne kräftig beschallt, zählt man die Sekunden herunter und hunderte Bergläufer starten, stark zuschauerbegleitet, von 560 m Höhe aus zum Sturm auf den Alpengipfel. Wobei der Anlauf maximal entspannt erfolgt, zumindest soweit ich es sehen kann. Denn diese zu erwartende harte Prüfung wird keinen Weltmeister produzieren und es gilt, sich Kraft und Strecke sehr gut einzuteilen. Die ersten Meter erfolgen über den gepflasterten, von sehr schönen Häusern gesäumten Domplatz, der alleine bereits einen Besuch wert ist. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist so. Durch den Weißen Turm hindurch bildet die glücklicherweise noch geschlossene Eisdiele Pradetto, die angeblich das beste Eis Südtirols herstellt, eine erste Prüfung bereits nach wenigen Metern. Selbstverständlich wurde die erste Portion des wunderbar cremigen Eises bereits gestern verputzt. Wer weiß, wieviel Zeit nicht nur ich hier verloren hätte, wäre das bereits die erste inoffizielle Verpflegungsstation gewesen.
 

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Auf einem Radweg entlang des Eisack findet die flache Einlaufphase bereits nach 4 km und dem Überqueren einer Brücke über das Gewässer ihr jähes Ende. Es folgt auf einige Asphaltmeter ein wunderbarer Wanderweg nach guten 5 km im sanften Auf und Ab durch einen schattenspendenden, lichten Laubwald, der nach dem letzten habsburgischen Kaiser Karl I als Karlspromenade bekannt ist. Der österreichische Kaiser weilte des öfteren in einem Brixner Sanatorium und unternahm auf diesem Waldweg ausgedehnte Spaziergänge. Die Karlspromenade endet bei der Millander Wallfahrtskirche „Maria am Sand“ auf 650 m. Das ist doch der geeignete Zeitpunkt, ein wenig, aber natürlich viel zu kurz, in die Geschichte abzutauchen. Tirol in Felix Austria, Südtirol in Bella Italia?

Südtirol mit seinen heute 520.000 Einwohnern, die Landeshauptstadt ist Bozen, gehörte, wenn wundert's, bis 1919 zu Österreich. Schon gute hundert Jahre vorher im Zuge der Französischen Revolution und der anschließenden Eroberungskriege Napoleons entstand in Tirol unter Führung Andreas Hofers eine Widerstandsbewegung, die sich der säkularen, aus Frankreich importierten Neuordnung gewaltsam widersetzte. Nach der militärischen Niederschlagung des Tiroler Volksaufstands wurden Bozen und das Gebiet südlich davon zusammen mit dem Trentino 1810 erstmals an das kurzlebige Königreich Italien angegliedert, 1813 von den Truppen des Kaisertums Österreich jedoch neuerdings besetzt. Im Zuge der Wiederherstellung der vorrevolutionären Machtverhältnisse in Europa auf dem Wiener Kongress wurde Tirol 1815 erneut als Teil der Habsburgermonarchie bestätigt.

Als Folge des 1. Weltkriegs und des Zusammenbruchs der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war das neu entstandene Deutsch-Österreich letztlich zu schwach, dem italienischen Druck und dem der Siegermächte zu widerstehen und mußte den Süden Tirols ab dem Brenner völkerrechtlich verbindlich abtreten. Es folgten Jahrzehnte italienischer Repression mit dem Versuch, alles Nichtitalienische auszumerzen und den Südtirolern ihre Identität zu nehmen. In diese Phase fiel auch die künstliche Umbenennung aller Ortschaften, die keinerlei gewachsenen, historischen Hintergrund besitzt. Heute begünstigt von weitreichenden Autonomiebefugnissen (teils auch in Budgetangelegenheiten) konnte sich Südtirol in den letzten Jahrzehnten zu einer wohlhabenden Region in Europa und einer der bestgestellten Italiens entwickeln. Der mit dem Schengener Abkommen und der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro angeschobene europäische Integrationsprozess erleichterte es seit den 1990er Jahren, verstärkt an die lange historische Zusammengehörigkeit des Bundeslandes Tirol und der Länder Südtirol und Trentino anzuknüpfen. Mit der Gründung der Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino erfolgte eine Institutionalisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den anderen Teilen des ehemaligen Kronlandes Tirol. Jetzt wißt Ihr's.

Noch ein paar interessante Fakten gefällig? Von seinen 7.400 km² sind 80% gebirgig und nur 6% besiedelbar. Es verzeichnet jährlich 300 Sonnentage, die Vegetation geht von Palmen und Weingärten in den submediterranen Tallagen über dichte Laub- und Nebelwälder hinauf in den hochalpinen, teils noch vergletscherten Bereich. Trocken ist der Vinschgau, regenreich das Ahrntal, der höchste Berg mit 3.905 m der Ortler. Und: Südtirols Wälder, die 44% der Fläche bedecken, wachsen noch!
Sehr schöne Waldwege bringen uns über Riffnol (750 m) – bei km 7 steht bereits der zweite VP – auf eine Wiese, von der man einen wunderbaren Blick über Brixen und das Eisacktal erhaschen kann. Selbstverständlich muß man sich dafür auch mal umdrehen! Der namengebende Fluß Eisack ist übrigens der zweitlängste Südtirols. Er entspringt am Brenner in einer Höhe von 1.990 m und mündet nach ca. 100 km etwas südlich von Bozen in die wasserärmere Etsch.
 

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Mellaun auf 862 m ist eine kleine Fraktion der alten Bischofsstadt Brixen mit einem  wundervollen Panorama auf die gegenüberliegende Talseite, die Stadt Brixen und den Ritten im Süden sowie die Zillertaler Alpen im Norden. Einige Zuschauergruppen, unverkennbar sowohl Urlauber als auch Eingeborene, spenden freundlichen Beifall, der mit stolzgeschwellter Brust gerne angenommen wird. Der dritte VP am hübschen Schnagerer Bio-Bauernhof auf 982 m kurz vor km 9 läßt mich meine Logistik kurz überdenken: Wäre es nicht klug gewesen, unser Domizil genau hier zu wählen und kräfteschonend erst später unauffällig einzusteigen? Natürlich ist das nicht ganz ernst gemeint. Allerdings läßt der herrliche Talblick aus den Balkonen der Ferienwohnungen den Gedanken an ein Wiederkehren aufkeimen.

Über eine Landstraße von der Polizei gut gesichert und über einen weiteren wundervollen Wiesentrail erreiche an km 11,4 auf 1.067 m Höhe die Talstation der Plose Kabinenbahn und damit den ersten Wechselpunkt der Viererstaffeln. Die Plosebahn ist eine Kabinen-Umlaufseilbahn, die von St. Andrä auf die Plose führt. Sie überwindet auf einer Streckenlänge von 2.675 m einen Höhenunterschied von 979 m. 1.800 Personen kann sie pro Stunde befördern. Zahlreiche Zuschauer spenden willkommen Beifall. Staffeln links, Einzelläufer rechts und nach dem Auftanken bei gut gelaunten Tankwarten geht’s weiter.
 

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Einige von Kinderhand gemalte, tolle Laufbilder bereichern jetzt die Szenerie, während ein steiler Aufstieg zu nehmen ist. Unter der Seilbahn hindurch sind oberhalb des Weilers St. Jakobs die ersten tausend Höhenmeter abgehakt. Zur Belohnung schickt man uns steil, teilweise aber über einen netten Trail, wieder nach unten. Eine breite Forststraße läßt sich überwiegend laufen, aber natürlich sind in meiner Preisklasse die ersten Gehmeter schon längst eingelegt worden. Falscher Heldentum ist nicht angesagt, hinten ist die Ente fett! Plötzlich und unvermittelt wird rechts in einen steilen, bergab führenden Wurzeltrail durch den Wald abgebogen. Klasse! Wie zuhause! Spinnt der jetzt total, werden sich einige von Euch fragen. Wie kann der seinen rheinischen Westerwald mit alpinem Gelände vergleichen? Er kann und er weiß, wovon er spricht. Überzeugt Euch gerne am 10. August beim Malberglauf oder, noch besser, am 6. April 2019 beim Wiedtal-Ultratrail persönlich davon.
 

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Ein italienisch sprechender Kollege bestätigt dauertelefonierend sämtliche Klischees, während uns zwei Fans mit Trillerpfeifen die Ohren betäuben. 19,2 km sind in Afers, einem Teil der Stadtgemeinde Brixen, vorüber. Hier wechseln die Zweierstaffeln und Vierermannschaften bereits zum zweiten Mal. Während wir den Ort verlassen, sind am Horizont die ersten schroffen Dolomitengipfel zu erkennen. Über St. Georg (1.504 m) und Niederwies führen die nächsten km, gut zu laufen, zum Talende in Richtung Hinterafers überwiegend bergab.

Ich erreiche nach 2:39 Std. die Halbzeit. Allerdings gilt dieser Begriff nur für die Distanz, denn von den insgesamt 2.450 zu nehmenden Höhenmetern sind noch fast anderthalbtausend zu bewältigen. Und die sollten es in sich haben und auch nicht lange auf sich warten lassen. Die zweite Hälfte ist, darauf solltet Ihr Euch einstellen, die bedeutend schwierigere. Ein Schweizer Ehepaar meines Kalibers begeistert mich: Sie, läuferisch etwas stärker als er, ist immer ein paar Schritte voraus, um dann auf ihn zu warten. Als ich ihr sage: „Weiß Dein Mann eigentlich, daß er die beste Ehefrau von allen hat?“ ist schon wieder eine Frau glücklich gemacht.
 

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Ein VP jagt den nächsten, die Versorgungsdichte mit allem Nötigen und mehr, darunter alleine viermal Gel, ist beispiellos. Nicht den ersten, aber wieder einen grandiosen Blick auf die Dolomiten beschert uns km 24, bevor ich die Beine hinauf zur Schatzerhütte in die Hand nehme. Weiter kommen wir über einen tollen Bohlenweg, wie ich ihn z.B. aus dem Venn oder von der Hornisgrinde im Nordschwarzwald kenne. An dessen Ende stoße ich auf den VP an der Schatzerhütte auf 1.984 m, der wiederum einen grandiosen Blick auf die zerklüfteten Dolomitengipfel ermöglicht. Heilig's Blechle, es ist ein Träumchen, um den Fernsehkoch Horst Lichter zu bemühen.

Je höher ich mich schraube, desto herrlicher wird der Weg, Erinnerungen an meine bisherigen Alpenläufe kommen hoch, eine schöner als die andere. Allerdings wechselt die Wegbeschaffenheit ständig, die Zahl der steinigen Trails, die högschte Aufmerksamkeit erfordern, wächst ständig. Und toll sind sie trotzdem. Allerdings bilden sie auch Nachteile, vor allem für die eine halbe Stunde nach uns gestarteten Staffelläufer: Ein Vorbeikommen ist oft auf hunderte Meter aussichtslos oder lebensgefährlich. Das müssen auch etliche entgegenkommende Wanderer erfahren: Sie machen zwar bereitwillig Platz, aber der Strom der Läufer scheint nicht enden zu wollen, da ist viel Geduld und Gleichmut gefragt.
 

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500 m voraus wird der Bergpreis vergeben! Für den hätte ich hier allerdings schlappe zwei Stunden früher eintreffen müssen. Es ist schon ein Wahnsinn, was die Führenden für ein Tempo hinlegen. Der Sieger wird nach nur 3:39 Std. im Ziel sein. Auf der Rossalm nach 31 km auf 2.180 m wird mal wieder ausgiebig verpflegt und so fallen einem die nächsten Abschnitte 130 m bergab in Richtung Kreuztal auf 2.050 m wieder leichter. Hier, nach 33,7 km, befindet sich die Bergstation der Seilbahn, was sich doch schon nach Ziel anhört, oder? Mitnichten, hier stehen noch 8,5 km an, welche dem Schlußläufer der Viererstaffeln am leichtesten fallen sollte. Und doch, selbst von denen sammele ich noch einige ein. Eine ganz tolle Idee sind die hölzernen Großbuchstaben „PLOSE“, in dem überdimensionalen O kann man auf einem Fahrrad Loopings drehen. Uns bleibt das erspart, wir laufen durch den Buchstaben hindurch, auch so ein ganz besonderer Programmpunkt.
 

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Das nächste Zwischenziel ist bei km 39 die Ochsenalm auf 2.085 m, von der uns aber noch anspruchsvolle, steinige Trails trennen. Man muntert uns zumindest auf, indem seit km 35 jeder halbe angezeigt wird. Das wird wohl nur noch bei der Jungfrau den Weg nach Wengen hinauf getopt: Da steht alles 250 m ein Schild. Nach der Ochsenalm wird’s auf den km 40 und 41 richtig haarig: Auf gerade mal 2 km ballen sich stolze 400 Höhenmeter. Mühsam schleppe ich mich hinauf, vor meinem geistigen Auge erscheint die Keschhütte beim Davoser K78er, die mich seinerzeit mit 20° (auf 2.600 m Höhe!) erwartete. Leck mich inne Täsch, ist das steil! Einige vor mir Laufende, nein, sich Bewegende, bleiben zwischendurch zum Luftholen stehen. Das kann ich glücklicherweise vermeiden, nicht jedoch ein ausgesprochenes Schneckentempo.
 

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Nicht zum ersten Mal ärgere ich mich die Pest, als ich ein leeres Gelpäckchen unterwegs liegen sehe. Was denkt sich so mancher Idiot unter uns Teilnehmern eigentlich? Mülleimer hat's wahrlich genug und auch jeder hat die Zeit, sich ein paar Sekunden zum Verpflegen selbst im Gehen zu nehmen. Aber nein, einige Unbelehrbare müssen ihre Becher und sonstigen Abfälle teils nur wenige Meter hinter dem letzten Sammelbehälter – die zudem immer lustig beschriftet sind – entsorgen. Ich begreife es nicht und als ich meinem Unmut Luft mache, ernte ich nur Zustimmung um mich herum.
 

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Ich bin vorbereitet und höre die Treichel am Leonharder Gipfelkreuz auf 2.365 m, wo es vorletzten Mal etwas zu trinken gibt, schon von weitem. Den lieben Menschen, der sie schwingt, nehme ich in den Arm (während er weiterlärmt) und sage ihm ins Ohr: „Man hat mir gesagt, wo der Wahnsinnige steht, ist das Ziel nicht mehr weit!“ Er kriegt sich fast nicht mehr ein vor Lachen und begleitet mich, eingehakt, etliche Meter. Ein hammergeiler Blick ins Tal ist die Belohnung für wirklich fordernde zwei km.
 

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Km 41 erscheint beim Panoramatisch (mit 2.486 m der höchste Punkt des Laufs) und ja, es geht tatsächlich nochmals abwärts! Interessant ist, daß es wirklich interessant ist: Mir ist kein einziger Meter langweilig, und wenn ich bei anderen Marathons oft spätestens bei km 30 das Ende herbeisehne, werde ich hier trotz der Erschöpfung schon fast ein wenig wehmütig angesichts des nahenden Endes.
 

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Einen Werbebogen kurz vorm Ziel kann ich schon weit voraus am Plosegipfel sehen und kaum glauben, daß der nur noch einen schlappen km entfernt sein soll. Tatsächlich komme ich nochmal ans Laufen, was mich wirklich freut, denn offensichtlich habe ich mir die Kraft gut eingeteilt. Einige gewonnene Plätze, so unwichtig das eigentlich ist, sind die Belohnung dafür. Aber selbstverständlich trennen uns auch noch etliche Bergaufmeter vom Ziel. Selbst jetzt gibt’s nochmal einen Schluck Cola. Jungs, Ihr seid klasse! Dann nimmt der Betrieb zu, und entlang eines blauen Zaunes ist der Zielbogen kurz voraus. Großzügig, wie ich nun einmal bin, darf die attraktive Blondine noch überholen. Hinterher gekommen wäre ich eh nicht mehr, um ehrlich zu sein.
 

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Nach 6:15 Stunden, früher als erwartet, hängt man mir eine sehr schöne Medaille um. Der kalte Wind treibt mich schnell ins Verpflegungszelt, wo man sich, in eine Rettungsdecke gehüllt, mit vielen Leckereien, vor allem hochwillkommender Wassermelone, wieder zum Leben erwecken lassen kann. Und nicht nur das: Man bietet sogar einen Massageservice, ein Nudelgericht und einen Duschcontainer an, und das alles im Startgeld inbegriffen. Respekt. Wenn das Wasser jetzt noch etwas temperiert gewesen wäre, hätte sich mein Glück vervollständigt. So scheide ich mit dem Gefühl des Bad Arolsener Adventslaufs (legendär eiskalte Duschen) von dannen. Für drei Euronen lasse ich mich runter nach Kreuzthal fahren, wo Elke und ich nicht nur die Sonne ausgiebig genießen. Mit der Seilbahn geht’s schließlich wieder kostenlos zurück ins Tal und mit dem Bus nach Brixen.
 

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Eine sensationell gute Veranstaltung unter sehr guten äußeren Bedingungen (der Vortag war komplett verregnet) hat leider ihr Ende gefunden. Wenn mich einer fragen sollte, ob sich eine Teilnahme lohnt, kann es nur heißen: Selbstverständlich, denn dieser Lauf ist zum Niederknien schön, und das ist kein bißchen übertrieben. Warum andere, vergleichbare, ein Mehrfaches an Teilnehmern anlocken, bleibt mir ein Rätsel. Ich jedenfalls bin begeistert. Hier ist wirklich jeder ein Sieger. Überzeugt Euch gerne bei der zehnten, der Jubiläumsausgabe, selber davon.
 

Diesen Bericht gibt es mit noch sehr viel mehr Fotos auf Marathon4you.de!


Streckenbeschreibung:
Traumhaft schöne, aber fordernde Strecke mit hohem Trailanteil über 2.450 m bergauf und 600 m bergab.

Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt 70 bis 130 €. In Italien ist die Mitgliedsbescheinigung in einem Leichtathletikverband, ersatzweise ein Gesundheitszeugnis unabdingbare Startvoraussetzung.

Weitere Veranstaltungen:
Zweier- und Viererstaffel. 4,2 km-Frauenlauf am Vortag ohne Zeitnahme, Kinderlauf, Rolli Run.
 
Leistungen/Auszeichnung:
Die Startnummer gilt am Wettkampftag als Ticket für die Umlaufbahn St. Andrä/Kreuztal/St. Andrä und den Transport von St. Andrä nach Brixen (Busbahnhof) zu den in den Startunterlagen angegebenen Zeiten. Pastaparty und Finishershirt im Ziel, Medaille, Urkunde, Massage und Dusche im Ziel.

Logistik:
Pro Teilnehmer wird ein Gepäckstück von max. 5 kg ins Ziel transportiert. Abgabe bei den Transportfahrzeugen von 6.30 bis 7.30 Uhr im Startbereich. Gepäck ist mit Name und Startnummer zu beschriften.

Verpflegung:
Reichhaltige Streckenverpflegung bei inkl. Start und Ziel 17 Stationen: Bananen, Äpfel, Kekse, Sponser Gel (ab km 21), Sponser-Getränke, Tee/Gurken/Melonen/Trockenfrüchte im Ziel auf der Plose.

Zuschauer:
An den Wechselpunkte natürlich geballt, aber auch unterwegs immer wieder einige Begeisterte.