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4. Brühler Schloßparkmarathon am 09.01.2021


Mehr als ein Trostpflaster 7.0: Von Schloß zu Schloß

Wer erwartet hat, die Situation würde sich entspannen, sieht sich enttäuscht: Der kollektive Stillstand wird nicht nur nicht aufgehoben, sondern darüber hinaus noch weiter verschärft. Erlaubt ist ab Heilige Drei Könige bis Ende Januar nur noch das Zusammensein mit einer einzigen Person außerhalb des eigenen Haushalts. Also gibt es von Kaspar, Melchior und Balthasar weder Gold, noch Weihrauch und Myrrhe, sondern eine weitere Verschärfung der Beschränkungen. Normalerweise sollte dies der Tod jeglicher Veranstaltung sein, nicht aber, wenn man einen Lauf situationsbezogen intelligent aufzieht.
 

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„Der Lauf findet als Trainings- und Freizeitlauf statt. Aus diesem Grund wird die Teilnahmebescheinigung/Urkunde voraussichtlich auch keine Platzierung enthalten. Es gibt also keinen Grund, die frische Waldluft nicht entspannt zu genießen.“ So informiert uns der Organisator Ralf vier Tage vor dem Schloßparkmarathon, zu dem Hanne und ich uns bereits vor einiger Zeit angemeldet haben. Wir schon mehrfach an unterschiedlichen Orten geübt, erwartet uns wieder ein Null Euro-Lauf, will heißen: Eine attraktive, mehrfach zu durchlaufende Runde ist zu absolvieren, die Verpflegung erfolgt aus dem eigenen Kofferraum, die Übermittlung des Laufbeweises an den Veranstalter in geeigneter Form und als Belohnung gibt’s eine vom 100 MarathonClub akzeptierte Urkunde. In Zeiten wie diesen kann man dafür nur dankbar sein.

Brühl hat also ein Schloß. Es ist einfach nur peinlich, denn das war mir völlig unbekannt. Und die Peinlichkeit nimmt noch gewaltig zu, als mir klar wird, daß es sogar zwei Schlösser mit einem offensichtlich ganz besonderen Park sind, die über ihre bloße Existenz hinaus seit 1984 den Status einer UNESCO-Welterbestätte genießen. Nun denn, genießen finden wir – das sind heute Hanne und ich - prima, daher finden wir uns nach einer einstündigen Anfahrt um kurz vor 9 Uhr auf dem kostenpflichtigen Parkplatz ein, von dem wir im Uhrzeigersinn gleich die erste der acht flachen 5,4 km-Runden in Angriff nehmen. Und zwar gemeinsam mit Ralf, der, wie bestellt, um Punkt 9 Uhr von seiner zweiten Runde zurückgekommen ist. Da er sich nicht traut, die Strecke in der Welterbestätte zu markieren und wir es mit der Bewegung nach GPS (noch) nicht so haben, ist uns das “betreute Laufen” wichtig.
 

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Wir freuen uns auf die geschichtsträchtige Umgebung, die unmittelbar hinter dem Parkplatz an einem Tor mit Verwaltungsgebäude (?) beginnt. Ein weiteres Tor an erkennbar alten Säulen bringt uns in den Park selber. Teilweise etwas matschig ist der Untergrund, insgesamt aber völlig problemlos zu nehmen, schließlich sind das alles hochfrequentierte Spazierwege. Nach kurzem Weg biegen wir links ab, verlassen den Park durch ein weiteres historisches Tor und kommen auf eine breite, ja fast als mondän zu bezeichnende Allee. In der Mitte ein breiter Grasstreifen, rechts und links feste Wege, daneben jeweils eine Baumreihe – klasse!

Ganz am Ende der Allee kann man ein weiteres Gebäude erahnen. Ziemlich abrupt endet die Allee, zumindest vorläufig. Offensichtlich hat man – optisch natürlich ein Verbrechen – nachträglich sowohl eine Straße als auch eine Bahnlinie quer durchgezogen, daher müssen wir in einem Kreis eine Unterführung durchlaufen. Ein paar wenige Höhenmeter sind die Folge, die allerdings die einzigen bleiben werden. Auf der zweiten Hälfte der Allee sehen wir dann ein weißes, nettes Gebäude näherkommen, der Schloßparkmarathon nimmt optisch konkrete Gestalt an. Die Hofseite von Schloß Falkenlust ist schon sehr hübsch anzusehen, das Gebäude befindet sich augenscheinlich in einem guten Zustand.
 

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Von 1729 bis 1737 für die seinerzeit äußerst beliebte Falkenjagd erbaut, wird es von zwei flachen Nebengebäuden flankiert, von denen aus ein schmiedeeisernes Gitter im Bogen nach vorne läuft und die Anlage von der offenen Landschaft abgrenzt. Die Feldseite (Vorderseite) zeigt auf ursprünglich unbestelltes Jagdgebiet, lehrt uns Wikipedia. Das Jagdschloß besitzt ebenso wie sein Vorbild Amalienburg auf dem Dach des Hauptgebäudes eine Aussichtsplattform, um von dort die Falkenjagd beobachten zu können. Ursprünglich Privatbesitz, gehört es seit 1960 dem Land NRW und diente dem jeweiligen Bundespräsidenten mehrfach zu repräsentativen Zwecken bei Staatsbesuchen. Ganz so wichtig sind Hanne und ich nicht, daher reicht’s nur für eine sehr attraktive Umrundung ohne Innenbesichtigung.

Vorbei am schönen, schmiedeeisernen Zaun laufen wir auf ein, hmm, Oktogon zu, zumindest sieht es so aus. Ein Kreuz auf dem Dach verrät seine Funktion, die auch eine kleine Schautafel beschreibt: 1730 wurde die mit reicher Muscheldekoration versehene Kapelle (St. Maria Aegyptiaca) errichtet und im Stil einer Grotte ausgeschmückt. Damit ist das erste, deutlich kleinere Schloß abgearbeitet und wir nutzen für den Rückweg wieder die breite Allee. Lange Gerade, Unterführung, lange Gerade, dann sind wir wieder im ursprünglichen Schloßpark. Unterwegs verkürzt uns die vielgenutzte Bahnstrecke die Zeit, sogar mehrere ICE rauschen während unseres Hierseins vorbei. Dann zeigt die Uhr den fünften km an und schon bald darauf haben wir die komplette Gartenanlage des Schlosses Augustusburg mit dem herrlichen Gebäude im Hintergrund vor Augen.
 

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Der Schloßpark von Augustusburg und Falkenlust gilt wegen seiner sorgfältigen Rekonstruktion als eines der authentischsten Beispiele barocker französischer Gartenkunst des 18. Jahrhunderts in Europa und als Denkmal der Gartenkunst von internationalem Rang. Wegen ihrer hervorragenden Qualität und historischen Bedeutung wurden die Anlagen um die Schlösser als Teil der Straße der Gartenkunst zwischen Rhein und Maas klassifiziert. Schade, daß wir heute zur Unzeit da sind. Mitten im Winter und bei völlig diesigem, kalten Wetter wirkt das Ganze natürlich nur halb so schön wie in der warmen Jahreszeit unter blauem Himmel. Aber vorstellen kann man sich das alles unschwer, hier muß ich nochmal im Sommer herkommen und vielleicht auch die Laufklamotten mitnehmen.

Das Schloß Augustusburg, vor dessen Schauseite wir letztlich vorbeilaufen, war beileibe nicht das erste Gebäude an diesem Platz. Bereits im 12. Jahrhundert besaßen die Erzbischöfe von Köln hier ein Gut mit Wildpark. 1284 ließ der Kölner Erzbischof Siegfried eine Wasserburg als Bollwerk gegen die Stadt Köln erbauen. Unter Erzbischof Walram wurde die Burg verstärkt. Sie wurde Sitz des Amtmanns des kurkölnischen Amtes Brühl und überdauerte bis 1689, als sie schließlich von den Franzosen im Pfälzischen Erbfolgekrieg gesprengt wurde. Der Kölner Erzbischof Clemens August I. von Bayern (1700–1761) aus der Dynastie der Wittelsbacher ließ an der Stelle der Ruinen beginnend 1725 das Schloß Augustusburg erbauen. Als Residenz- und Sommerschloss konzipiert wurde es als solches zumeist vier bis sechs Wochen im Jahr vom Kurfürsten bewohnt. Die Hauptresidenz war damals das Kurfürstliche Schloss in Bonn. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Augustusburg schwer beschädigt, aber schon 1946 begann man mit den Restaurierungsarbeiten. Auch Falkenlust benötigte nach dem Krieg umfangreiche Restaurierungsarbeiten. Von 1949 bis 1996 gab der Bundespräsident auf Schloß Augustusburg in den Monaten März bis November Empfänge für Staatsgäste.
 

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Genug der Geschichte, wenden wir uns wieder dem Schweißvergießen zu. Vorbei an den in unsäglicher Weise sämtliche Wege vollscheißenden Kanadagänsen laufen wir die Schauseite des Schlosses ab. Hanne jagt mich die Freitreppe hinauf, damit ich, die Schaufenster im Rücken, ein Foto der Gartenanlagen mache. Man(n) ist ja zum Gehorsam erzogen. Natürlich habe ich die Fotos nicht auf der ersten Runde geschossen, sondern in der Hoffnung auf den angekündigten blauen Himmel – zuhause in Waldbreitbach fand er statt –nach Aufgeben jeder Hoffnung in der sechsten und damit drittletzten. Am Auto wird, wie neuerdings modern, aus dem Kofferraum verpflegt, ein unbeobachtetes Eckchen findet sich für andere Bedürfnisse auch, dann geht es weiter.

So spulen wir Runde um Runde ab und freuen uns, daß wir heute wieder einmal die Möglichkeit hatten, einen zählbaren langen Lauf zu machen, den ich so früh im Jahr noch nicht absolviert hatte. Da mir der Link gerade in die Hände fiel, habe ich spaßeshalber mal auf der Internetseite des 100MC-Vorstandsmitglieds Michael Kiene nachgesehen. Der ist ebenfalls heute gelaufen, allerdings war das bereits sein dritter Marathon 2021. Sachen gibt’s… Wenn man ehrlich ist, muß man sich eingestehen, daß es in den kommenden Monaten mit „richtigen“ Marathons noch sehr dünn, falls überhaupt, bleiben wird. Insofern freue ich mich auf weitere Gelegenheiten, bei anderen „Null-Euro-Läufen“ neue Ecken kennenzulernen. Vielleicht gibt’s bald auch mal ein Angebot in Waldbreitbach und/oder Roßbach/Wied. Ich werde von mir hören lassen.