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1. Essener Rhein-Herne-Kanal-Marathon am 12.07.2020


Mehr als nur ein Trostpflaster 3.0: Premiere am Rhein-Herne-Kanal

Nach zwei Corona-bedingten Teilnahmen an Kleinstveranstaltungen in Bonn und Bad Neuenahr steht heute mangels professioneller Alternativen mein dritter Marathonlauf auf privater Basis an. Das bedeutet aber unverändert nicht, daß dieser nicht zählbar wäre, ganz im Gegenteil. Habe ich bekanntermaßen eine Allergie gegen „sinnlose“ Läufe ohne Startnummer, hält dieser wie seine beiden „Vorgänger“ den Anforderungen der Zählordnung des 100 Marathonclubs stand. Allerdings muß ich mir auch heute die Startnummer vorstellen, die mehr virtueller als papierner Art ist. Aber eine nette Urkunde gibt’s am Ende, und das ist es, was im wahrsten Sinne des Wortes zählt. Ein schönes Trostpflaster 3.0, das ich gerne wieder einmal mitnehme.

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Was erwartet mich heute? Eine simple und daher mit ganz kleinem Aufwand auszurichtende Veranstaltung auf Selbstversorgerbasis: Keine Startgebühr (kleiner Obolus dennoch erwünscht), eigenständige Zeitnahme, Verpflegung aus dem Kofferraum. Letztere ist bei mir mittlerweile bewährt und funktioniert. Vor allem aber werde ich heute mehrere Stunden lang das machen, was mir besondere Freude bereitet: Am Wasser entlangzulaufen. Die sechsmal zu absolvierende 7,098 km-Runde (Messrad, mit GPS Uhr 7,06 Km) funktioniert auch ohne Streckenmarkierung: Vom Start direkt über die Brücke und am Ufer dreieinhalb km nach Westen in Richtung Oberhausen, Überquerung der Straßenbrücke Oberhausen-Osterfeld, danach dreieinhalb km am Kanalufer zurück bis zum Start, fertig.
 

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Zu unchristlich früher Stunde um 5 Uhr klingelt der Wecker am heiligen Sonntag im rheinischen Westerwald. Schmerzverzerrt schäle ich mich aus der Kiste, habe Rücken. Am Vortag des Marathons mehrere Stunden am Neubau der Tochter zu pflastern war vielleicht doch nicht die allerbeste Idee. Insbesondere beim deutschen Beamten mit zusätzlich grundsätzlichem Läuferproblem: Von Haus aus ohne Rückgrat hat er zwar unten Stahl, aber oben nur Pudding.

Den eigentlich vorgesehenen Starttermin um 7 Uhr habe ich für mich und den mich wieder begleitenden Jürgen bei guten anderthalb Stunden Anfahrt über 140 km auf 8 Uhr gesetzt. Was nimmt man nicht alles in Kauf für die heiligste aller Nebenbeschäftigungen? Sogar Mecker der Gattin. Ja, Schatz, zum Kaffee bin ich wieder zuhause! Und ja, ich weiß auch, daß ich am 1. August den Biermarathon in Hachenburg und am 30. August im Bremerhaven zu laufen gedenke. Aber die Entzugserscheinungen sind nun mal nur durch Nachgeben zu befriedigen. Alles in allem ist es schon ein hartes Los, abhängig zu sein.
 

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Beim Eintreffen im äußersten Nordwesten Essens finden wir den Parkplatz vorm Freibad Dellwig „Hesse“ vollkommen belegt und parken daher, wenige Meter entfernt, in der Prosperstraße gegenüber der Bushaltestelle. Als wir uns paratmachen, taucht plötzlich Christian auf, mit dem ich zwei Wochen nach seinem letzten Einsatz überhaupt nicht gerechnet hatte. Angenehme Überraschung! Geduldig wartet er auf uns, steht noch für ein Startfoto zur Verfügung, bis ich kapiere, daß er die erste Runde bereits hinter sich hat und seine Zeit läuft. Wahrscheinlich war er aber schon zu diesem Zeitpunkt froh über ein Ruhepäuschen. Von 25 Startplätzen wurden wohl 26 vergeben, und mit uns sind damit auch alle auf der Strecke.

Jetzt aber hurtig! Auf der Prosperstraße überqueren wir die Brücke über den Rhein-Herne-Kanal und sind direkt etwas oberhalb auf dessen Nordseite in Richtung Oberhausen unterwegs. Nach wenigen hundert Metern kommen wir am Schiffsanleger vorbei, an dem zwei Lastkähne fest vertäut liegen. In der Sonne ist es schon angenehm warm, zumindest ich werde heute bei optimalem Laufwetter keinen Grund zur Beschwerde haben. Jetzt unmittelbar am Kanal laufend, unterqueren wir mehrere unterschiedliche Brücken. In intensivem Gespräch vertieft, sind die ersten drei km wie im Flug vergangen und die Pfeile der vorbildlichen Markierung führen uns hinauf zur Osterfelder Brücke, über die wir den Kanal ein zweites Mal überqueren und uns auf den Rückweg machen. Ältere Leute neigen gelegentlich zur Hilflosigkeit, daher ist Christian erkennbar froh, mich dabeizuhaben. Hat er vorhin den richtigen Abzweig nicht entdeckt, führe ich ihn jetzt auf den Pfad der Tugend.
 

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Wirklich wunderbar ist der Rückweg, häufig gut beschattet unter einem Blätterdach. Da kann man sich auch mal in die Büsche schlagen, um vorhin Versäumtes nachzuholen, der Kaffee drückt. Christian bietet sich damit wieder eine günstige Gelegenheit zum Durchschnaufen, was er aus seiner Sicht natürlich wieder ganz anders darstellt. Die Vor- und Nachteile einer Freistellung für eine Personal- bzw. Betriebsratstätigkeit haben wir noch nicht ausdiskutiert, da sind wir schon wieder am Start angelangt. Flugs über die Straße gesprungen, Kofferraum geöffnet und getrunken, schon geht es auch weiter.

Ich bin, was Laufen in toller Umgebung betrifft, von zuhause wirklich gesegnet. Wenn ich dann sage, hier ist es schön, dann ist es das wirklich. Natürlich weiß ich, daß der Ruf des Ruhrgebiets (immer noch) deutlich schlechter als die Realität ist, trotzdem bin ich mehr als angenehm über diese 7,1 km-Runde überrascht. Es ist wieder mal eine Lust zu laufen. Von den 26 Startern trifft man unterwegs den einen oder anderen, entweder beim Überholen oder beim Überholtwerden. Langweilig ist es mir bis zum Ende nie geworden, zu entdecken gibt es immer wieder etwas Neues. Fein, diese Wasserstraße!
 

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Der Rhein-Herne-Kanal, eine 45,4 Kilometer lange Bundeswasserstraße im Ruhrgebiet, führt übrigens vom Rhein zum Dortmund-Ems-Kanal und hat heute fünf Kanalstufen. Zwischen 1906 und 1914 für rund 60 Millionen Mark des Kaiserreichs erbaut, wurde er im vormaligen Flussbett der Emscher angelegt, deren Verlauf sich durch die vorhergehende Begradigung leicht nach Norden verlagert hatte. Als Glied des Wasserleitungsnetzes Datteln – Hamm, Dortmund – Ems, Rhein – Herne und Wesel – Datteln dient er nicht nur der Schiffahrt für die Schleusungen. Auch der Ausgleich für Versickerungen und Verdunstungen, die öffentliche, landwirtschaftliche und industrielle Wasserversorgung in Form von Ver- und Gebrauchswasser (Kühlwasser für Kraftwerke) ist seine Aufgabe.

Wo Ihr gerade Emscher sagt: Die fließt auf dem Hinweg rechts von uns und war einmal die Kloake des Ruhrgebiets, weil man eine Verrohrung der Abwässer aus bergbautechnischen Gründen verworfen hatte. Wirklich renaturiert wirkt sie zumindest hier noch nicht, aber wie ein großer Abfluß sieht sie auch nicht gerade aus. Das wird schon was werden. Toll fand ich seinerzeit auch schon den Baldeneysee, den ich am 10.10.10 ab 10.10 Uhr zweimal umkurvt habe. Jetzt drehen wir aber erstmal hier unsere zweite Runde.
 

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Auf dem Hinweg zur Osterfelder Brücke haben wir stets das bald 100 Jahre alte Industriedenkmal Gasometer Oberhausen im Blickfeld, das sich allerdings schamvoll vor uns versteckt. Komplett verdeckt hat man es, wie es einst Christo tat, offensichtlich wird es im Verborgenen aufgehübscht. Noch auf der zweiten Runde kassiert uns Patrick, heute mal ohne Klapprad und darauf sitzender Sophie unterwegs. Allerdings wie immer in einem beneidenswerten Affenzahn, sicher wird er auch heute die Drei-Stunden-Marke deutlich unterboten haben.

Wirklich nett zum Beginn des Rückwegs ist der Gehölzgarten des historischen Gutshofs Ripshorst nahe dem Informationszentrum Emscher Landschaftspark, den wir ansatzweise durchlaufen, bevor wir wieder auf den Uferweg wechseln. Kurz bin ich um meinen geistigen Zustand besorgt, was viele von Euch ohne zu zögern als zutreffend bestätigen werden: Rechterhand sehe ich einen riesigen, verbogenen Strommast. Zu viel Alkohol? Nein, es handelt sich hierbei um eine 35 Meter hohe Skulptur aus Stahlprofilen, die das von Freileitungen vertraute Bild eines Gittermastes mit einer Traverse zeigt. Die normalerweise geraden Bauteile fügen sich in dieser Skulptur zu geschwungenen Formen zusammen, als tanze der Mast mit ausgestreckten Armen. Hat was, keine Frage. Geschaffen wurde die Skulptur von der Berliner Künstlergruppe inges idee. Inwieweit Werner Kerkenbuschs Inge dort eine Rolle spielt, konnte ich nicht herausfinden. Ihn habe ich mich sehr gefreut, zunächst beim Verpflegen endlich einmal wiedergetroffen zu haben.
 

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Vier Runden sind vergangen, als das Fahrradaufkommen stark zunimmt. Klar, die Wege sind für alle da, aber das ganz meditative Laufen hat ein Ende. Sein Scherflein dazu beiträgt Arno, mit dem wir kurzweilig die Probleme der Welt lösen. Auf meiner fünften, Christians letzter Runde zeigt sich dann sein nicht wegzudiskutierendes Dilemma aus zu hoher beruflicher Dauerbelastung und aus meiner Sicht zu wenigen Trainingskilometern. Doch im Windschatten zweier Labertaschen läßt es sich offensichtlich wenigstens noch einigermaßen flüssig hinterherwackeln. So strahlt der Bub im Ziel und läßt sich selbstlos von zwei Münsteranerinnen reanimieren, während Arno und ich noch eine Runde dranhängen müssen.
 

Die vergeht ohne den Klotz am Bein bei intensivem Gequatsche wieder vergleichsweise zügig. Als ich auf die Uhr schaue, bin ich überrascht, bereits die 42 zu erkennen. Das ist mir auch noch nicht passiert. Der Kofferraum enthält noch genügend Stoff zur Wiedererweckung der Lebensgeister, was angesichts der nicht vollständigen Beanspruchung gar nicht schwer ist. Dann ist auch Jürgen im Ziel, dem ich attestiere, bei seinem vierten Lauf über 42,195 km und mehr mental seine bisher härteste Prüfung abgelegt zu haben: Jeden Meter mußte er sich ohne fremde Unterstützung erarbeiten. Als dann noch Werner eintrifft, wird unser Wiedersehen gefeiert. Kein Zweifel bestand und besteht bei der Bewertung der heutigen Veranstaltung: Klasse Runde bei super Wetter, was will man mehr? Vielen Dank, lieber Michael, für Deine Mühe! Das war eine runde Sache
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