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4. Malibu-Marathon am 11.11.2012
Marathon in Malibu oder: Erfolgreiche Frustbekämpfung
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Der Schlag saß schon tief. Ein ganzes Jahr lang hatten wir uns auf New York gefreut und dann das: Erst die Absage unseres Fluges drei Tage nach dem verheerenden Hurrikan Sandy und dann gelingt trotz großer Bemühungen aller Beteiligter keine rechtzeitige Umbuchung. Letztlich müssen wir erkennen, daß wir nicht mehr rechtzeitig zum Lauf eingeflogen werden können. So buchen wir schweren Herzens in Direktflüge nach Miami um und beginnen unseren als Anschlußreise geplanten Aufenthalt in Miami Beach zwei Tage früher als geplant. Klar, es gibt durchaus Härteres, aber der eigentliche Aufhänger unserer USA-Reise war perdu. Daß letztlich der Marathon tatsächlich abgeblasen wurde und unsere Reisekollegen zur richtigen Entscheidung gratulierten, ist uns nur ein schwacher Trost.
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Aber man ist ja flexibel und darüber hinaus bescheuert genug, sich bereits Anfang des Jahres für einen zweiten Lauf im Rahmen unserer Rundreise angemeldet zu haben. Wenn ich schon so weit fliege, muß sich das auch lauftechnisch lohnen, so mein Credo. Das Weib schüttelt zwar nur verständnislos den Kopf, der Held aber grinst und freut sich auf die Gelegenheit zum Frustabbau. So fliegen wir nach fünf Bombentagen in Miami Beach, wo wir neben Morgenjogs am traumhaften Strand, anschließender angeleiteter Gymnastik und einem langen, informativen Abendvortrag von Herbert Steffny auch Fort Lauderdale, die Everglades und Key West besuchen, nach Los Angeles in Kalifornien und machen die Stadt unsicher. Der Rodeo Drive – ein Traum in Luxus, der Walk of Fame oder die Hollywood-Hills inkl. der berühmten Buchstaben, denen wir fast zum Greifen nahe kommen, sind schon etwas, das man gesehen haben kann. Obwohl die Stadt bzw. die 168 ineinandergewachsenen Städte mit ihren insgesamt 13 Mio. Einwohnern ein Riesenmoloch ist.
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Untergekommen sind wir aus diesem Grund in Thousand Oaks, einer Stadt ca. 20 km oberhalb von Malibu, das seinerseits hart westlich von Los Angeles direkt am Pazifik liegt. Mit seinen knappen 13.000 Einwohnern ist der Ort zwar klein, aber die Promidichte ist heftig. Die feinen Sandstrände („Surf City USA“), die Nähe zu Hollywood und den Filmstudios hat sie zur Heimat von Film- und anderen Stars gemacht. Charlie Sheen, Barbra Streisand, Britney Spears, Bob Dylan, Miley Cirus, Jennifer Aniston, Halle Berry, Mel Gibson, David Evans (U2) und Don Henly (Sänger der Eagles) sind nur einige der bekannten Namen. Ein gewisser Thomas Gottschalk hat übrigens auch hier seinen Zweitwohnsitz. Gerne bereichern wir diese illustre Runde.
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Die Startnummernausgabe findet im selbsternannten World famous Malibu Inn, einer offensichtlichen Szenekneipe, direkt vis-á-vis dem schönen Malibu-Pier, statt. Dort geht es marathonmäßig ganz bescheiden zu, außer dem absolut Laufnotwendigen gibt es nur einen Fanartikelverkauf. Im Hauptraum wird gespachtelt, was das Zeug hält, und eine Band spielt live auf. Auch hier reagiert man auf die Absage des New York-Marathons und bietet den Geschädigten den Frühbuchertarif an, der immerhin 45 $ unterhalb des jetzigen Satzes liegt, und spendet 25% davon an die Katastrophenhilfe. Ob sich deshalb allerdings auch nur einer zusätzlich hierherbewegen wird? Immerhin kratzen sie nach eigener Aussage an der Kapazitätsgrenze, die wohl eher transportbedingt ist als wegen zu enger Straßen.
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Exakt 365 Tage nach dem legendären Karnevalsmarathon in Bad Driburg (11.11.11 um 11:11 Uhr) geht es früh am Morgen - um 3:45 Uhr ist Aufstehen angesagt - nach Malibu. Das Prozedere ist, wenn natürlich auch in erheblich geringerem Umfang, ähnlich dem von Boston: Da es sich um einen Punkt zu Punkt-Kurs handelt, werden wir, nachdem wir uns am Ziel für 8 $ einen Parkplatz gemietet haben, zwischen 4:45 und 5:30 Uhr mit gelben Schulbussen zum Freedom Parc in der Stadt Camarillo im Nordwesten gekarrt und dürfen dann, die zweite Hälfte auf dem Pacific Coast Highway (Highway #1), zurücklaufen. Werde ich hier also schon mal am vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch zu laufenden Big Sur-Marathon schnuppern können? Weltrekord wird hier jedenfalls genauso wenig wie in Boston gelaufen werden können, dafür fehlen hochbezahlte Stars. Aber mal ehrlich: Wer braucht die denn zu seinem höchstpersönlichen Laufvergnügen?
Nach rund 30 min. Fahrzeit kommen wir in Camarillo an, mit etwa 5° ist es knackig kalt. Zehn Minuten vor dem Start, die ersten Sonnenstrahlen spenden wenigstens etwas Wärme, entscheide ich mich für „Kurz“ und entledige mich meines Langarmshirts, weitere fünf Minuten später gebe ich meinen Rucksack auf den letzten Drücker ab und beginne zu frieren. Macht nichts, der Start ist ja gleich. Um 7:10 Uhr ist allerdings immer noch nichts passiert und ich friere inzwischen wie ein Schneider. „That’s Malibu“, meint mein Nachbar achselzuckend angesichts meiner Ungeduld. Erst um 7:30 Uhr dürfen wir dann los, woran es gelegen hat, wird wohl immer deren Geheimnis bleiben.
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Wir laufen einmal ums Karree, dann führen die ersten Kilometer vorbei an riesigen Gemüsefeldern. Wenn man das sieht, glaubt man gerne, daß von hier aus die halbe Nation mit Gemüse und Obst beliefert wird. Man sieht viele mexikanische Landarbeiter, die unter harten Bedingungen ihr karges Brot verdienen. Völlig flach ist der Kurs bisher, der Blick geht weit voraus und kündigt bereits hier eine harte mentale Prüfung an, denn Zuschauer hat’s nur ganz vereinzelt. Wenigstens ist der Himmel wolkenlos, aber das haben wir Älteren ja schon bei Ilja Richters „Disco“ von Albert Hammond gelernt: „It ne-he-ver rains in Californa…“
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Auffällig sind die zahlreichen japanischen Teilnehmer, die über den Pazifik mal gerade eben auf die andere Seite gewechselt sind. Ich überhole den heutigen Marathon-Rekordhalter, den der Starter in der Wartezeit ermittelt hatte: Auf 426 Zähler schraubt er heute sein Konto. Unterwegs müßte ich mich mal in die Büsche schlagen, aber das geht bei den Amis gar nicht. Vereinzelt stehen Dixi-Klos am Rand, aber ich habe keinen Bock auf Anstehen, denn natürlich warten da schon die ersten Mädels. Irgendwann finde ich dann eine Baumreihe, hinter der man sich doch gut verstecken kann, und traue mich, allerdings nicht als erster. Keiner verhaftet mich, Glück gehabt.
An der ersten von 18 Verpflegungsstellen gibt es nur Wasser, bald aber kommt Iso dazu, dreimal geben sie sogar Gels aus, was ist in den USA durchaus nicht üblich ist. Zäh ziehen sich die km über plattestes Land, Gemüse links, Gemüse rechts, und Läufer in der Mitte. Und dann sehe ich sie tatsächlich und das mehrfach: Startnummern von New York, die etliche Läufer hinten ans Trikot geheftet haben, der Aufruf scheint also doch auf Gehör gestoßen zu sein. Ob das in Santa Barbara, wo der Marathon gestern stattfand, ebenso war? Ein erster, aber vorerst einziger Aufstieg führt uns über eine Brücke, die zu einer Navy-Liegenschaft („Point Mugu“) führt, vor der wir links abbiegen. Vorher dürfen wir aber die ausgemusterten Kampfjets bewundern, die sie an der Straße ausgestellt haben.
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Ich komme mit Matthew ins Gespräch, dessen Vater in Frankfurt als Pilot beschäftigt war, daher kann er ein wenig Deutsch sprechen und freut sich, das anwenden zu können. Überhaupt werde ich häufig angesprochen, aber dafür laufe ich ja auch im Nationaltrikot. Er versucht heute seinen ersten Marathon und will unter 4 Std. bleiben. An der nächsten Verpflegungsstelle entwischt er mir, obwohl wir zusammenbleiben wollten. Scheinbar fühlt er sich stark, vielleicht ist er es auch, gewarnt habe ich ihn jedenfalls.
Nach elf Meilen – übrigens sind die Meilen passenderweise auf kleinen Surfbrettern einzeln ausgewiesen – kommen wir auf den berühmten Highway #1, den Pacific Coast Highway, den wir für den Rest des Laufs auch nicht mehr verlassen werden. Rechts die See, links Berge, das ist schon nicht schlecht. Schlecht ist allerdings, daß nur eine Spur abgetrennt ist und der normale Verkehr an uns vorbeirollt. OK, beim Transeuropalauf ist überhaupt nichts abgesperrt, aber auf das ständige Vorbeirauschen könnte ich schon verzichten, auch wenn uns immer wieder hupend Beifall gespendet und Respekt gezollt wird. Die Sonne brennt mittlerweile gnadenlos, zwei Stunden sind vergangen, der kühle Wind (überwiegend von vorne und auflandig kommend) läßt uns die steigende Wärme aber nicht spüren. Wenigstens habe ich mich mit Lichtschutzfaktor 50 eingecremt, will schließlich nicht als Grillhähnchen ankommen.
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Die Halbmarathonmarke ist zwar nicht gesondert gekennzeichnet, aber ich liege unter zwei Stunden und damit im selbstgesetzten Soll. Die ellenlangen Geraden sind wirklich nichts für Weicheier, man kann im wahrsten Sinne des Wortes meilenweit nach vorne schauen. Wer hier seinen ersten Marathon packt, der hat sich sicher keinen ganz leichten ausgesucht. Klasse ist immer wieder der Blick aufs Meer und – sehe ich da richtig? Ja, ich erhalte begeisterte Bestätigung: Zwei Delphine tummeln sich klar erkennbar, herrlich! Mehrfach werden wir von der Highway Patrol abgesichert. „Guten Tag!“ kommt es bzw. er mir entgegen. Deutsch kann er zwar nicht, aber für diesen Gruß reicht’s, und wir haben uns beide darüber gefreut. Shakehands und weiter geht’s. Dann tauchen nach etwa 15 Meilen die ersten Häuser auf, die nah am Strand gebaut sind. Das hört sich zwar toll an, ist es aber nur bedingt. Was nützt mir der schönste Blick aufs Meer, wenn hinter mir 24 Stunden lang der Verkehr vierspurig vorbeirauscht und ich mehr als einsam wohne?
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Tja, und dann passiert genau das, was ich befürchtet hatte. Wer dehnt sich da schmerzverzerrt am Straßenrand? „Mein“ Matthew. Er versucht zwar nochmals mitzuhalten, fällt aber bald zurück. Im Ziel hat er 25 Minuten auf mich verloren und viel gelernt. Wie heißt es so schön? War der Marathon nicht Dein Freund, war er Dein Lehrer. Und dann beginnt es für alle hart zu werden, denn der Kurs wird wellig. Absolut nichts Dramatisches, etwa vergleichbar mit den Bostoner Newton Hills („Hartbreak Hill“), aber auf den letzten km tun auch die insgesamt nur 155 gemessenen Höhenmeter weh. Gegen Ende muß ich wieder mal die Zähne zusammenbeißen, aber wirklich schiefgehen kann definitiv nichts: In meinen beiden letzten Glückskeksen vom gestrigen Chinesen finde ich: „Walk with a good heart and you will run with success“ und noch besser: „Your example will inspire others“.
Eine einzige Percussionband spielt kurz vor dem Ende auf. Noch interessanter als ihr Rhythmus ist der uralte VW-Bus, der wohl ihnen gehört, ein echtes Schätzchen. Dann passiert das, mit dem ich auch schon gerechnet habe, man kennt ja seine Pappenheimer: Ich hole einige wohlbeleibte Halbmarathonerinnen ein, die genauso lange wie wir unterwegs sein müßten, also auch zu diesem Zeitpunkt schon rund dreidreiviertel Stunden. Aber ich muß mich selbst am Riemen reißen, lästern tut es sich ja schnell. Wer sich mit so viel Übergewicht 21,1 km am Stück bewegt, hat wirklich Respekt verdient.
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Die letzte Meile bricht an, eine letzte Steigung hinauf und wieder herunter, dann tut sich vor uns der herrliche, lange Strand Zuma Beach auf, gleich haben wir es geschafft. Hier wurde übrigens die Fernsehserie „Bay Watch“ gedreht. Wer erinnert sich nicht an David Hasselhoff und die schönen großen – Augen von Pamela Anderson? Rechts, links auf den Parkplatz und wieder einmal mache ich einen Zieleinlauf, wie ich ihn im ferneren Ausland liebe: Die mitgeführte Bundesdienstflagge wird gezückt, mit ausgebreiten Armen über den Kopf gehalten und der Wind sorgt für vollflächige Aufmerksamkeit. Ich liebe das, die Amis sowieso und jubeln mir zu. Dann versüßt das Wort „Finish“ den Tag. Eine tolle Medaille gibt’s und, noch schöner, ein Finisher-Strandlaken, das daheim jede Menge Aufmerksamkeit garantiert. Mit meinen 3:58 Std. ungerade bin ich am Ende tatsächlich 173. von 658 insgesamt und 6. von 35 in der M50, wow. Das sind echte amerikanische Marathonverhältnisse, der Median liegt bei knappen 4:30 Std… Im Ziel gibt es noch viererlei verschiedene Riegel, drei Sorten Dosenobst, kleingeschnitten in Quarkbecher-größe und Wasser, das auch jetzt noch geht. Nachdem ich abschließend ein paar tolle Surfmädels beim barfüßigen Einlauf, Paddel in der Hand, betrachtet habe, hat dieser Marathon sein Ende. Nach dem Duschen im Hotel geht es noch einmal zurück und ein sehr langer Strandspaziergang beschließt diese schöne Veranstaltung.
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Muß man wegen dieses Marathons jetzt extra in die USA fliegen? Die Vermarktung ist auf jeden Fall super, es wird der Eindruck erweckt, man liefe in einem Südseeparadies (Motto: „Run in paradise - where the mountains meet the sea“). Trotzdem ein klares Nein von meiner Seite, das den Lauf aber keinesfalls schlecht machen soll. Im Rahmen eines ohnehin geplanten Aufenthalts ist der Lauf wirklich laufenswert. Was vielleicht für viele auch eine gute Idee ist: Lauft den Halben. Ihr verpaßt auf der ersten Hälfte durch die Gemüsebeete nichts, denn die sieht man auch auf dem Weg nach San Francisco, und beschränkt Euch auf den Teil, der über den Pacific Coast Highway führt. Eine Medaille gibt es auch, die gleiche, nur mit einem anderen Halsband, und ein Handtuch dürft Ihr ebenfalls mitnehmen. Und: Wer kann und will, muß Big Sur laufen, ein echter Ersatz ist Malibu nicht. Wir fahren jetzt über drei Tage die gut 400 Meilen nach San Francisco, bleiben dort noch weitere drei und dann geht’s, gefolgt von ordentlichem Jetlag (9 Stunden Zeitverschiebung), wieder nach Hause in die Wirklichkeit.
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Mit Sunrise-Avenue verabschieden wir uns mit etwas Wehmut aus dem Großraum L. A.:
“Bye bye, Hollywood Hills, I'm gonna miss you, where ever I go, I'm gonna come back to walk these streets again. Remember that we had fun together!”
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Streckenbeschreibung: Die ersten zwei Drittel vollkommen flach über teilweise nur einspurig abgesperrte Straßen, im letzten Drittel die Masse von insgesamt 155 Höhenmetern.
Rahmenprogramm: Keines.
Laufstrecken: Punkt-zu-Punkt-Kurs, Marathon, Halbmarathon, Supathlon (7 Meilen Laufen, 6 Meilen Paddeln).
Startgebühr: Je nach Anmeldezeitpunkt 104 – 145 $.
Auszeichnung: Medaille, Strandlaken, Urkunde.
Logistik: Transport vom Ziel zum Start, Gepäckrücktransport.
Verpflegung: 18 Wasserstellen, dreimal gibt es Gel.
Zuschauer: Eher dünn, die teilweise spektakuläre Landschaft entschädigt dafür.
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