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13. Nachtmarathon Marburg am 02.07.2010
 

In der Hitze der Nacht

Zuerst Kühle bei den Hindenburgs, dann Hitze an der Lahn

An den US-amerikanischen Spielfilm von 1967 („In the heat of the night“) fühle ich mich erinnert, als ich mir bei der Anfahrt auf Marburg am bisher heißesten Tag des Jahres die 35° heiße Luft um die Nase wehen lasse. Muß ich mir das heute antun? Scheinbar schon, denn drei Wochen nach Biel juckt es mir schon wieder heftig in den Beinen und meine Brust leidet zudem unter akuten Startnummernentzugserscheinungen. Ein Abend-/Nachtlauf freitags ist dagegen genau das richtige Medikament.

Über Marburg ist alles Wesentliche auch bei M4y schon längst geschrieben: Mittelhessische Kreisstadt, Studentenstadt, traumhafte alte Bausubstanz in der Oberstadt, Millionen Kneipen, Alte Universität, Landgrafenschloß, Heilige Elisabeth, Elisabethkirche. Wobei Elisabethkirche nicht nur Heilige Elisabeth bedeutet, sondern auch einen weiten Bogen nach Ostpreußen schlägt. Wie das jetzt? In der Elisabethkirche hat nämlich Paul von Hindenburg seine letzte Ruhe gefunden.

Unbekannt? Sollte nicht. Einem alten preußischen Adelsgeschlecht entstammend, wurde Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg 1847 in Posen geboren, beschritt die für einen Angehörigen des alten Adels fast unvermeidliche militärische Laufbahn, aus der er 1911 pensioniert wurde. 1914 reaktiviert, wurde er als Generalfeldmarschall höchstdekoriert zum Befreier Ostpreußens. 1919 – 1925 folgte sein zweiter Ruhestand, den seine Wahl zum Reichspräsidenten als Nachfolger Friedrich Eberts abrupt beendete. Sein heutiges Bild bestimmt leider ausschließlich die durch ihn 1933 erfolgte Ernennung des Gröfaz (Größter Führer aller Zeiten) zum Reichkanzler.

1934 verstorben und damit in den endgültigen Ruhestand versetzt, wurde er am Ort seines größten Siegs über die Russen, im Mausoleum Tannenberg/OPr., beigesetzt. Auf dem Rückzug 1945 wurden die Särge von u.a. ihm und seiner Frau zunächst in ein Salzbergwerk nach Thüringen gerettet und von den Amerikanern abschließend zur endgültigen Beisetzung nach Marburg in die Elisabethkirche gebracht. Und da liegt er noch heute und wird von mir, nicht zuletzt wegen der angenehmen Kühle des Gemäuers, ausgiebig gegrüßt.

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Zuerst war ich allerdings erst einmal am späteren Ziel im Universitätsstadion zur Nachmeldung (ja, jetzt fange auch ich schon an zu spinnen und melde mal gerade eben zum Marathon nach) und bin dann gemächlich den einen km über 100 Höhenmeter in die Oberstadt aufgestiegen, wo um 19 Uhr der Start stattfinden wird. Ich schaue mir den tollen Platz und die Häuser an, sehe viele nette Leute gemütlich in Cafes, Kneipen sowie Restaurants sitzen und frage mich, ob ich sie noch alle habe und wirklich jetzt vier Stunden vor mich hinschwitzen möchte. Ja, ich will.

Und weil ich will, geht’s für mich und rund 1.400 Gleichgesinnte (Marathon, Halbmarathon und Marathonstaffel zu viert) vom rappelvollen Markt bei knappen 30° auch bald los, verbal heftigst vom bekannten Moderator Arthur Schmidt unterstützt. 1.034 hatten vorgemeldet, davon schlappe 160 für die namengebende Disziplin. (15 %). Über dieses Mißverhältnis (5:1 zugunsten des Halbmarathons) haben wir schon öfter, auch von anderen Orten, berichtet.

Der erste km führt sehr schön über attraktive, kopfsteingepflasterte Straßen zunächst gute 50 HM abwärts und in Richtung Lahn, die wir nach einer fast 180°-Kehre am Wilhelmsplatz bald erreichen und auch kaum mehr verlassen werden. In den Cafés an der zunächst durchlaufenen Barfüßerstraße sitzen die Leute und wundern sich über die Bekloppten, die bei der Hitze und dem Alternativprogramm (WM) nicht Besseres zu tun haben. Grob gesagt, verläuft die Strecke zunächst nach Norden gute 5 km lahnaufwärts, nach Überquerung derselben wieder auf Höhe des Starts (aber nicht zum)  zurück, dann weitere 5 km nach Süden und nach Überquerung der Lahn diese wieder auf Höhe des Starts zurück. Dieser südliche Abschnitt von rund 10 km ist dann noch zweimal zu laufen und endet im Universitätsstadion.

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Die ersten km treffen Werner Kerkenbusch, der wie so häufig mit seiner Frau Inge vor Ort ist, und ich immer wieder zusammen. Für seine geplanten 4:30 Std. ist er ziemlich zügig unterwegs. Auf den breiten Straßen läßt es sich gut laufen und das nimmt sich auch der Schweiß zu Herzen, denn er rinnt in Strömen, ruck-zuck ist man klatschnaß. Auf dem Weg ans nördliche Ende unserer Laufstrecke behalten wir lange das Landgrafenschloß im Auge, ein imposanter Anblick. In Marburg-Wehrda fragen wir: „Wer da?“ und weil keiner antwortet, machen wir uns flugs auf den Rückweg nach Süden.

Die ersten, mittlerweile wohl unvermeidlichen Vuvuzelas blasen uns den Marsch. Furchtbar, diese Dinger, ich hasse sie. Meine eigene wartet zuhause auf ihren nächsten Einsatz gegen Argentinien... Erstmals betreten wir den Lahntalradweg, der die Strecke deutlich verjüngt. Da aber das Feld inzwischen erheblich auseinandergezogen ist, macht das keine Schwierigkeiten. Die Sonne sticht noch ordentlich, die Bezeichnung „Nachtmarathon“ verspricht mehr als sie hält, richtig dunkel wird es erst im Ziel sein. An den Verpflegungsstellen wird im Akkord gearbeitet, ich saufe wie ein Kamel. Süß ist der kleine Dreikäsehoch, der mir erwartungsfroh zwei Becher entgegenhält und den ich direkt ablichte.

Immer wieder unterqueren wir entlang der Lahn kleine Brücken, auf denen ab und an ein paar Leute stehen und sich das Treiben recht emotionslos von oben anschauen. Es wird auch deutlich, daß Marburg eine Studentenstadt ist. Nicht nur bestehen viele Staffeln eindeutig aus solchen, auch kommen wir an einigen Studentenwohnsiedlungen vorbei. Kurz vor km 10 sind wir wieder im Bereich, den wir auf dem Fußmarsch zum Start schon gesehen haben. Eine alte Fußgängerbrücke wird, einige sagen schon ewig, renoviert und ist behelfsmäßig mit Bohlen ausgelegt, die unter dem Getrappel ordentlich schwingen.

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Dann kommt ein sehr interessanter Bereich, eine Liegewiese an der Lahn. Hier hängen viele junge Leute ab, spielen, quasseln und lassen es sich gut gehen. Vor allem sind sie durch die Bank nett, denn jede Kontaktaufnahme wird freundlich beantwortet. Das Grillgut knipse ich an einer Stelle und die Einladung zum Bier schlage ich angesichts der Witterung lieber aus. Dem Anton wäre das nicht passiert. Nach etwa 16 km sind wir an der Südspitze unseres Kurses angekommen, schwenken nach links ein und machen uns auf den Rückweg auf der anderen Lahnseite. Ganz toll ist ein Bogen mit drei Duschköpfen, die ein Sponsor aufgebaut hat. Ich verzichte auf die Abkühlung, habe Bedenken wegen nasser Füße und v.a. abgesoffener Kamera.

Als wir Gisselberg nach 17 km hinter uns gelassen haben, traue ich meinen Augen nicht. Das Bild kenne ich doch! Klar, der Planetenlehrpfad! Der war beim sog. Frühjahrsmarathon am Tag des „Kyrill“ die Ausweichstrecke in Form eines 2,5 km-Pendelkurses. Den laufen wir komplett bis zur Stelle des damaligen Zieles ab und noch weiter. Immer noch ist es schön hell, von Nacht keine Spur. Sehr viel mehr Spuren hinterläßt die Hitze: Waren die ersten Fußgänger schon bei km 5 auszumachen gewesen, sehen wir jetzt leider einige Einsätze der Sanitäter, um Kollabierte zu behandeln. Mir geht es glücklicherweise prima und ich bin dankbar dafür.

Im Bereich der Halbzeit, die bei mir nach 1:59 Std. kommt, passieren wir das Stadion, in dem noch eine letzte Dreiviertelrunde Schaulaufen angesagt ist. Draußen und drinnen ist der Bär los, Hauptankunftszeit der Halben. Ich bedauere ein wenig, daß bei meiner Ankunft vermutlich das genaue Gegenteil der Fall sein wird. Mir macht das Abbiegen am Ziel nichts aus und laufe wieder über die etwas zweifelhafte Brücke und auf die zweite von drei Südrunden. Wie erwartet, ist die Szenerie sofort wesentlich anders: Nämlich kaum noch etwas los. Gut, das ist halt bei einer Veranstaltung, die zwar Marathon heißt, wo die Musik aber beim Halben liegt, einfach so.

Gleich findet wieder ein Sanitätseinsatz statt und direkt dahinter noch einer. Die Kamera kann ich jetzt wegstecken, denn auf der Strecke ist nichts mehr los, einige wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch die Studenten an der Lahnwiese haben ihr Pulver verschossen. So, wie es aussieht, habe ich das auch. Nach 22, 23 km kann ich mir nicht mehr vorstellen, das bisherige Tempo einigermaßen zu konservieren. Die Hitze und der erst drei Wochen zurückliegende Hunderter fordern ihren Tribut. Und so ziehe ich, nur zweimal von den beiden Führenden (der spätere Sieger läuft in der M 50!) und einigen wenigen Staffeln überholt, einsam meine Kreise. OK, darauf war ich durch Markus‘ letztjährigen Bericht vorbereitet und umgehen kann ich damit auch ganz gut. Und so spule ich km für km ab und die Salzschicht auf meinem Astralkörper wird dicker und dicker.

Auf der letzten Runde wird es dann endgültig einsam. Ich freue mich, auf Volker Berka aufzulaufen, der zwar langsam, aber wie ein Uhrwerk seine km abspult. Gefühlsmäßig lasse ich immer mehr nach, werde dann aber doch immer wieder dadurch motiviert, daß ich einerseits langsame Staffeln und den einen oder anderen Mitläufer noch überholen kann und andererseits aber kaum noch überholt werde. Endlich am Ziel angelangt, geht es noch eine letzte Dreiviertelrunde auf der hochwertigen Tartanbahn entlang und dann werde ich nach 3:58 Std. (doch noch geschafft!) vom unermüdlichen Moderator im Ziel beglückt. „Marathon4you.de, immer wieder eine tolle Sache!“, meint Arthur Schmidt. Das bestätige ich ihm darauf gerne, aber auch auf ihn mag man ungern verzichten. Seine gute Laune ist gerade in schwierigen Situationen (arg tröpfelnder Zieleinlauf) sehr von Vorteil.

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Werners Inge fotografiert mich im Ziel und gute 20 Minuten später ist auch er selber, Sieger der AK M 60 (!) zu Hause. „Na Inge, war’s Dir auch schon mal langweilig?“. „Na ja, wenn ich ehrlich bin, schon.“ Und wenn man dann bedenkt, daß die Gute fast immer dabei ist, wenn ihr Held läuft, kann man das nur bewundern und Werner zu seiner Frau herzlich gratulieren. Noch eine Stunde sitzen wir zusammen, regenerieren, tratschen und duschen.

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Ein an dieser Stelle nicht namentlich genannter, aber wohlbekannter frisch Operierter, der selbst im OP seine große Klappe nicht halten kann, hätte jetzt die restliche Nacht genutzt, um den diesjährigen Marburger Bier-Durchschnittsverbrauch noch signifikant zu erhöhen sowie mit dem feindlichen Häuptling Haglund und seinem Krieger Ferse Sporn ein Kalumet nach dem anderen zu rauchen. Mich hingegen zieht es heim zu Frau und Kindern und so mache ich mich frohgemut und zufrieden, hier gewesen zu sein, nach Hause auf.

Diesen Bericht gibt es, wie fast immer, mit vielen Fotos auf marathon4you.de!

Streckenbeschreibung:
Insgesamt flacher Streckenverlauf in etwa in Form einer „8“ rechts und links der Lahn, von der die untere Hälfte dreimal zu durchlaufen ist. Durch die immer wiederkehrenden ganz leichten Wellen kommen doch ein paar (undramatische) HM zusammen.

Rahmenprogramm:
Ein Sportartikelverkaufsstand und Gastronomie im Stadion (Zielbereich).

Weitere Veranstaltungen:
Staffelmarathon, Halbmarathon.

Auszeichnung:
Medaille, Pokale für die AK-Sieger.

Logistik:
I
nsgesamt gut, teilweise ungünstig gelegene Parkplätze, warme Duschen.

Verpflegung:
7 gut bestückte Verpflegungsstellen, eine große Dusche unterwegs.

Zuschauer:
Teilweise gute Stimmung, insbesondere in der zweiten Hälfte sehr ruhig.