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9. Standard Chartered Nairobi Marathon am 30.10.2011
 

Mzungu auf dem Läuferolymp

+++ Deutscher glänzt bei Nairobi-Marathon +++ Versägt jede Menge Kenianer +++ Vermutlich Sportler des Jahres +++ Kenianische Ehren-Staatsbürgerschaft nicht ausgeschlossen +++

Jetzt dreht er völlig durch, mag der eine oder andere von Euch glauben, aber noch ist es nicht ganz so weit. Noch nicht. Was reitet mich, nach Kenia zum Marathonlaufen zu fliegen? Das bedarf einiger Erklärung (Ihr müsst Euch also bei Interesse heute noch etwas mehr Zeit als üblich nehmen) und hat weniger mit Marathon zu tun. Eigentlich aber doch.

Die Vorgeschichte

Vor drei Jahren fiel mir, der ich gerne und viel, insbesondere über unseren Sport, lese, ein Buch in die Hände: „Mein langer Lauf ins Licht“ über einen kenianischen Sportler, und zwar einen ganz besonderen. 1974 in Kikuyu/Kenia, geboren, erblindete Henry Wanyoike am 1. Mai 1995 über Nacht nach einem Schlaganfall und fiel in eine abgrundtiefe psychische Krise, die so tief war, daß er sich an die ersten Wochen nach der Erblindung noch heute nicht erinnern kann. Doch er hatte Glück, Riesenglück, und kam in den zu dieser Zeit seltenen Genuß einer Rehabilitation inkl. Berufsausbildung zum Strickmeister. Henry Wanyoike gab sich nicht auf und ist inzwischen mehrfacher Weltrekordhalter und Paralympicssieger.

Nach der Reha wurde Henry bekannt, als er im Jahr 2000 erstmals bei den Paralympics in Sydney antrat. Blinde Läufer laufen stets mit einem sehenden Zugläufer und sind mit diesem durch ein Band verbunden. In Sydney konnte sein Zugläufer das Tempo Wanyoikes nicht mithalten und erlitt kurz vor dem Ziel einen Schwächeanfall, weil er ihm (er sah es als DIE Chance an, einmal im Leben aus Kenia herauszukommen) seine Malaria-Erkrankung verschwiegen hatte. Von den Zuschauern frenetisch unterstützt, zog Wanyoike seinen Zugläufer ins Ziel und gewann den Lauf trotz dieser Verzögerung.

Er ist aktueller Weltrekordhalter über 5000 Meter (gelaufen in Athen 2004 in einer Zeit von 15:11:07 min.), über 10.000 Meter (31:37:25 min., gelaufen ebenfalls in Athen 2004) sowie im Halbmarathon (gelaufen in Hongkong 2004 in einer Zeit von 1:10:26 h). Bis zum 17. September 2008 hielt Henry Wanyoike mit einer Zeit von 2:31:31 h (gelaufen in Hamburg 2005) auch die Weltbestzeit im Marathon.

Aber wie das so ist, kaum war das Buch gelesen, wanderte es in den Bücherschrank, wurde aber nicht vergessen. Im April 2009 meldete ich mich zum Marathon in Bonn an und bekam in der Vorwoche mit, daß Henry dort Halbmarathon laufen würde und darüber hinaus bei der Eröffnung der Marathonmesse Autogramme gäbe. Signierte Bücher finde ich klasse und daher war es keine Frage für mich, mit dem Buch unter dem Arm mittags auf der Messe zu erscheinen. In der Erwartung, dort einen Stand vorzufinden, suchte ich nach einem von einer Menschentraube umringten Kenianer. Davon jedoch keine Spur und auch Fragen bei einigen Ständen halfen nicht weiter. Keiner wußte etwas. Das war schade, half im Moment aber nicht weiter.

Den Zieleinlauf der ersten Halbmarathoner konnte ich vor meinem eigenen Start noch beobachten und hatte so das Glück, ihn und seinen Freund und Guide Joseph Kibunja live zu erleben und im Bild festzuhalten. Mein Laufbericht auf m4y wurde vom Autoren des Buches (der ihn als guter Freund zugleich in Deutschland „managte“) gelesen und schon am nächsten Morgen empfing ich eine E-Mail vom Journalisten Bengt Pflughaupt. Er entschuldigte sich bei mir, seinem „Kollegen“, wegen des verpaßten Treffens auf der Messe. Henry war nur von Stand zu Stand gezogen und so sind wir aneinander vorbeigelaufen. Hier begann ich zu verstehen, daß Henry im Vergleich zu sehenden Spitzenläufern ein im wahrsten Sinne des Wortes armer Kerl ist. Ein Blinder ist, selbst als mehrfacher Olympiasieger und Weltrekordinhaber, nicht erfolgreich zu vermarkten.

Bengt teilte mir aber mit, daß Henry noch länger in Deutschland wäre und sich bei Interesse bestimmt irgendwann und -wo ein Treffen organisieren lasse. Um es abzukürzen: In einer Blutsturzaktion wurde ein Treffen in Waldbreitbach organisiert und knapp zwei Wochen später saßen neben Bengt ein leibhaftiger Olympiasieger und mehrfacher Weltrekordhalter mit seinem Freund in meinem Wohnzimmer am Kaffeetisch. Ich sage es Euch, eine halbe Stunde genügte, mich diesem Mann verfallen zu lassen. So etwas von freundlich, aufgeschlossen, authentisch und herzlich hatte ich selten erlebt, und das von einem Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis.

Am Nachmittag stand ein kleiner gemeinsamer Lauf mit unserem Lauftreff an und am Abend hielt er einen hochinteressanten Vortrag, bei dem nicht er sich in den Mittelpunkt stellte, sondern die von ihm initiierten Projekte. Henry versucht nämlich, das Gute, das ihm widerfahren ist, an seine bedürftigen Landsleute zurück- bzw. weiterzugeben. An Blinde und Sehbehinderte durch Vermittlung und Finanzierung von Augenoperationen über Berufsausbildungen für Blinde, gemeinsam mit der Christoffel Blindenmission (CBM), bis hin zur Realisierung einer Kombination von Kindergarten und Schule für kleine Kinder aus seinem Slum, um denen ein Mindestmaß an Bildung und eine tägliche warme Mahlzeit zukommen lassen zu können. Der Abend erbrachte eine Spende von 300 €. Ich nenne die Summe zur Verdeutlichung: Dieses Geld, so konnten wir lernen, ist sehr viel für ihn und wurde beim gemeinsamen Abendessen mit Freude angenommen.

Weitere Informationen auf Henrys Internetseite (auch auf Deutsch!): www.henry4gold.com

Am nächsten Tag hatte ich das Glück, mit beiden alleine eine Stunde durchs Gelände und ordentlich hinauf zu unserem Malberg laufen zu können, ein prägendes Erlebnis für mich. Joseph führte ihn mit so traumwandlerischer Sicherheit durch die Pampas, nicht ein einziges Mal ist Henry über eine Wurzel oder einen Stein gestrauchelt. Wir versprachen, uns wiedersehen zu wollen und haben das in Deutschland inzwischen auch drei Mal getan. Mittlerweile hat nicht nur ein Paket den Weg dorthin (er wohnt 20 km von Nairobi entfernt) gefunden, sondern auch die eine oder andere finanzielle Unterstützung. Es gibt mir ein gutes Gefühl zu wissen, daß die Spenden in voller Höhe und ohne Abzug unmittelbar in konkrete Projekte gehen. Und das wollte ich mal mit eigenen Augen gesehen haben.

Weit zu reisen ohne an einem Laufwettbewerb teilzunehmen, geht natürlich gar nicht. Insofern hatte ich schon mal die internationalen Laufkalender durchforstet und für Kenia vier Treffer erzielt: Den Ende Juni in einem Wildschutzgebiet nördlich des Mount Kenya stattfindenden Lewa-Marathon, den Mombasa- und einen weiteren Marathon an der Küste, sowie den Nairobi-Marathon Ende Oktober. Henry lebt 20 km von Nairobi entfernt und ich verspürte zudem wenig Neigung, im Lewa-Park schneller als die hungrigen Löwen laufen zu müssen. So fiel die Wahl nicht schwer.

Was ist es doch herrlich, Freunde vor Ort zu haben! Beide nehmen sich nämlich eine Woche Zeit für mich, besitzen glücklicherweise Autos und Joseph steht als Fahrer (Linksverkehr!) zur Verfügung. Wir planen neben ausgiebigen Rundgängen in Henrys Wirkungsbereich, dem Kanjeru-Slum in Kikuyu, auch das Rift Valley in einer Privatsafari unsicher zu machen, den ebenfalls unweit von Nairobi in Ngong wohnenden neuen Marathon-Weltrekordler Patrick Makau zu besuchen und zum Abschluß werde ich den Marathon laufen.

Link zum Interview mit Patrick Makau

Flüge buche ich über das Emirat Katar, Unterkunft in einem Motel unweit von Henrys Zuhause. Vorsichtige Erkundigungen bei Ortskundigen, u.a. beim Journalisten Jörg-Henning Meyer aus Kapstadt, der dort eine deutschen Online-Zeitung betreibt und ihn in Afrika „managt“, hatten, wie vermutet ergeben, daß beide gar keinen Platz gehabt hätten, mich unterzubringen. Außerdem will ich sie nicht rund um die Uhr beschäftigen, beide haben Familien und müssen auch ihre Nutztiere versorgen. Am Sonntag fliege ich spätabends von Frankfurt (Gate 42, wie könnte es für einen Marathoner auch anders sein?) mit Qatar Airways über Doha nach Nairobi, Direktflüge von Deutschland nach Kenia  gibt es nicht (mehr).

In Kenia

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Am nächsten Morgen komme ich am Jomo Kenyatta Flughafen in Nairobi an. Die Ausstellung eines Visums (das ich mir auch in Deutschland über die Botschaft hätte besorgen können) geht erfreulicherweise zügig vonstatten und schon bald kann ich meine ersten Worte Kiswahili loswerden: „Jambo Rafiki!“ Hallo Freunde!

Einige Basisinformationen zu Kenia in aller Kürze: In Ostafrika gelegen, grenzt es an den Südsudan, Äthiopien, Somalia, Tansania, Uganda und mit langer (536 km) Küste an den Indischen Ozean. 1,6 mal so groß wie das heutige Deutschland hat es aber nur die Hälfte der Einwohner. Es gibt statt unserer vier Jahreszeiten zwei Regenzeiten (April bis Juni, lange Regenperioden, und Oktober bis Dezember, kurze Regenperioden) und angenehmes Klima: Jahresdurchschnittstemperatur in Nairobi (2,8 Mio. Einwohner) auf ca. 1.600 m ü. NN bei 15° – 18°, an der Küste 27°. Währung: Kenianische Schillinge (KES), 1 € entspricht derzeit 135 KES. Die meisten Kenianer sind Christen. Das Bruttosozialprodukt ist in den letzten Jahren ordentlich gestiegen, wegen des starken Bevölkerungswachstums (3% jährlich, 42% sind unter 14 Jahre alt) ist das aber nicht „angekommen“. Die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Kenia ist übrigens der weltgrößte Blumenexporteur.

Klasse sind morgendliche Trainingsrunden rund um Henrys Zuhause. Das ist, wie alles andere auch, Afrika pur und ich bin mir sicher, hier verirrt sich kein Touri hin. So kann ich sehen, auf welchen Pisten trainiert wird. Stellt Euch einen üblen Feldweg vor und dann noch einmal schlimmer, dann habt Ihr eine vage Vorstellung davon, wie eine innerörtliche Straße aussieht. Kein Belag, tiefste Löcher, daß nicht alle Autos völlig kaputt sind, grenzt an ein Wunder. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die Pisten nach einem Regen aussehen (nach zwei Tagen kann ich es, eine Katastrophe). Das sind die normalen Trainingsbedingungen für viele kenianischen Athleten. Und, oh Wunder, auch ich kann da laufen! Hier lernt man sehr schnell demütig zu sein und sich über bereits Weniges zu freuen. Ich komme in den Genuß, Kinder auf dem Schulweg zu beobachten, die, je jünger, superfreundlich sind und sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn der weiße Mann stehenbleibt und ihnen „Five“ gibt. Und der „Mzungu“ freut sich nicht minder. Unterwegs treffen wir auf mehrere Trainingsgruppen, deren Zuhause wir im Folgenden auch aufsuchen werden.

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Trainingscamp

Es gibt Dinge, die kann man sich schlecht vorstellen, und selbst wenn man sie gesehen hat, nicht glauben. Ich meine die Situation talentierter kenianischer Läufer, die vorhaben, Große zu werden und noch auf ihre ersten Engagements warten. Eine solche Trainingsgruppe kann ich mit Henry und Joseph besuchen und sehe Dinge, die vermutlich kaum einer kennt. Stellt Euch einen Bretterverschlag vor, ein einfachstes Gartenhäuschen aus zweifelhaften Materialien, und das in zwei gegenüberliegenden Gruppen von „Reihenhäusern“. Dazwischen natürlich die blanke Erde. Wir werden in ein „Büro“ gebeten, das ich als Abstell- bzw. Rumpelkammer gedeutet hätte. 4 Gartenstühle, ein klappriger Tisch, ein paar einfachste Bänke und zum Schluß über zwanzig Menschen darin gestapelt. Diese tragen alte Flipflops oder urälteste Laufschuhe, abgelaufen und löchrig. Bekleidet sind sie mit unterschiedlichen T-Shirts, meist aus billiger Baumwolle und einfachen Hosen.

Die Atmosphäre ist total befangen, in diesem Moment frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Dann schauen mich alle auch noch scheu, aber erwartungsvoll an. Was soll ich tun? Darauf war ich nicht vorbereitet. So entschließe ich mich nach einer peinlichen Pause, um ein gemeinsames Thema zu haben, mit meinem überschaubaren Wortschatz von der Marathonsituation in Deutschland zu sprechen. Wie viele es gibt, daß die Schwarzen immer vorne sind, warum die Weißen hoffnungslos hinterherlaufen (bei uns läuft man eben nur, wenn man Spaß daran hat und nicht wie hier, um wenigstens eine kleine Chance zu haben, dem Elend zu entgehen) und daß man durchaus bei einigen Veranstaltungen gutes Geld verdienen kann. Und rate ihnen, falls einer wirklich mal zu Geld kommen sollte, auf dem Teppich zu bleiben, nicht durchzudrehen und an die Zukunft nach dem Laufen zu denken.

Der Trainer fordert alle auf, sich vorzustellen. Sie nennen mit leisen Stimmen ihre Namen und für welche Distanzen sie trainieren. Einige Mädels sind dabei, die meisten Jungs um die 20 Jahre. Zwei Sprinter, wenige Mittelstreckler, die meisten Langstreckler. Ich frage einige nach ihren aktuellen Zeiten und erfahre, daß einige von ihnen am Sonntag beim Nairobi-Marathon über unterschiedliche Distanzen starten werde. Ich entschuldige mich vorsorglich, daß, sollte ich einen von ihnen treffen, ihn vermutlich nicht erkennen werde, außerdem werde ich das Feld von hinten überwachen. Da huscht dann doch das eine oder andere zaghafte Lächeln über ihre Gesichter. Als ich von Biel erzähle, herrscht ungläubiges Staunen. Auch dafür, daß hier 21 Stunden Sollzeit vorgegeben sind, aber das hat ja bekanntermaßen seine Bewandtnis und auch die kann ich ihnen kurz erzählen.

Dann ergreift eine besonders Mutige das Wort. Ich merke, daß sie dazu wirklich ihren ganzen Mut zusammennehmen muß, und berichtet über ihre hiesige Situation. Es fehle an allem. An wirklich allem. Angefangen von Schuhen über Shirts und Hosen. Was mich aber am meisten schockiert ist die Tatsache, daß für jeden von ihnen ein Wochenbudget von 300 KES bereitsteht. Das sind etwa 2,20 € (zur Erinnerung: 1 € = 135 KES). Für Kost und Logis. Sie trainieren üblicherweise dreimal täglich und es kommt immer wieder vor, daß nicht ausreichend Nahrung vorhanden ist. Nach einem anstrengenden Training bleiben die Athleten also hungrig. Aufgepaßt: Wir reden hier nicht von Sportlern der dritten Garnitur, sondern von Läufern (männlich), die z.B. einen Halbmarathon in 62 bis 64 Minuten laufen können. Als ich das höre, dreht es mir endgültig den Magen herum. Ich muß etwas tun, hier und jetzt.

Meine Freunde haben mich aus Kostengründen nach nur einer Nacht von dem Hotel kenianischer Mittelklasse (45 US-$/ÜF) in das Gästehaus eines Krankenhaus (besser und deutlich preisgünstiger) umquartiert. Sie bekommen zwar in beiden Häusern Rabatt, aber mit dem Gästehaus kommen sie besser zurecht und bringen dort regelmäßig ihre Besucher unter. Dies erspart mir etwa 20.000 KES und die werde ich der Gruppe zur Verfügung stellen, bzw. in sie investieren. Etliche von Euch kennen mich und werden mir abnehmen, daß ich das nicht zur Selbstbeweihräucherung tue und auch erzähle. Ich möchte, daß Ihr eine Vorstellung davon bekommt, wie groß das Elend ist. Als Erstes kaufen wir 10 Uhren. Ja, fast keiner hat eine und eine billige (ohne Stopfunktion, nicht nötig) bekommt man schon für etwa 400 KES. Wahnsinn, oder? Der Rest wird in Nahrungsmittel angelegt: Ugali (Vollwert-Maisbrei, das Nationalgericht), Reis und Fett. Fett ist für sie Mangelware. Mein Gott, geht es uns gut! Einen ersten Schwung kaufen wir direkt am nächsten Tag, den Rest des Geldes werden Henry und Joseph verwalten und für Nachschub sorgen.

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Emotional schwierig ist für mich die Übergabe, denn es ist mir peinlich, als der sprichwörtliche reiche Onkel aus Amerika aufzutreten. Es gelingt mir, einen Mittelweg zu finden und danach geht es mir wieder besser. Vor allem auch deshalb, weil wir uns jetzt, bei unserem zweiten Zusammentreffen, ein wenig kennen und sie beginnen, ihre Scheu abzulegen. So traue ich mich schließlich sie doch zu bitten, einige Fotos machen zu dürfen um sie zuhause zeigen zu können. Die Bilder der Unterkünfte und der „Küche“ sprechen für sich. Groß ist die Freude, als ich beim angebotenen Ugali zuschlage und mir prompt einen veritablen Dünnschiß einfange. Aber der marathonlaufende Apotheker meines Vertrauens hat mich prophylaktisch mit den wichtigsten Medikamenten versorgt und so wird Flüssiges schnell wieder so, wie es sein soll. Irgendwie sind wir doch alle gleich: die Mädels fordern mich auf, auch bei ihnen vorbeizuschauen und unter großem Gekichere werden Fotos gemacht und dank des Displays sofort begutachtet. Für diese Leute werde ich auch in Zukunft etwas tun. Wenn mich jemand von Euch dabei unterstützen möchte, meldet Euch bitte bei mir. Es gibt vielfältige Möglichkeiten.

Theresias House of Hope

Vor fünf Jahren traf Henry die schon damals todkranke junge Österreicherin Theresia Brandtner, die von Henry – wie könnte es auch anders sein? – derart begeistert war, daß sie seinem Freundesverein „Henry4Gold“ beitrat und als Vermächtnis hinterließ (Theresia ist leider inzwischen verstorben), ihn in seinen Projekten auch nach ihrem Tod weiterhin finanziell zu unterstützen. Da eine alte Dame ihm ein 5.000 m² großes Grundstück zwischen dem Kanjeru-Slum  und der örtlichen Schule geschenkt hatte, konnte Henry seinen Traum realisieren und im März dieses Jahres eine Vorschule für die Kinder aus dem Kanjeru-Slum eröffnen. Die erste von drei Klassen hat mit 15 Kindern zwischen zwei und vier Jahren gerade mit dem Unterricht begonnen (auch die Lehrerein „Teacher Anne“ wird aus Hilfsgeldern bezahlt), jeden Tag erhalten sie eine Mahlzeit in der Schule.

Ich bin in der glücklichen Lage, symbolisch einen Scheck überreichen zu können. Mein Verein tritt einen Teil des Erlöses unseres StaffelMarathons ab, zwei Sieger haben ihre Preisgelder gestiftet, das Laufteam der BAFin (hier arbeitet eine meiner Vorstandskolleginnen) hatte noch Geld vom Bonner Firmenlauf übrig und ich habe das auf 1.000 € aufgestockt. Auch das sage ich ausdrücklich nicht zum Eigenlob, sondern nur um darzustellen, daß selbst vermeintlich kleine, zumindest noch überschaubare, Beträge Großes zu leisten vermögen. Denn hierfür können einheimische Handwerker vernünftige Tische und Stühle für die Kleinen herstellen und die restlichen Klassenräume herrichten. Für mich und die anderen Spender ist es beruhigend zu sehen, daß - im Gegensatz zu Spenden an professionelle Organisationen (ohne diese schlecht machen zu wollen) – die Kohle unmittelbar und in voller Höhe zielgerichtet ankommt und der Erfolg nachweisbar ist. Der Bau eines weiteren Gebäudes ist in Planung.

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Mit Henry im Slum

Nairobi besteht u.a. aus mehr als 200 Slums, nur fünf Prozent des Landes von Nairobi stehen für 2,6 Millionen Menschen zur Verfügung. 60% seiner Einwohner leben darin. Der Slum, aus dem Henry stammt, heißt Kanjeru. Die genaue Einwohnerzahl kennt keiner, sicher ist nur: Er wächst jeden Tag. Nairobi mit seinen modernen Hochhäusern und der geschäftigen Innenstadt wirkt wie ein Magnet auf die Kenianer. Die Menschen kommen auf der Suche nach Arbeit, mit der sie sich selbst und am besten noch die Familie ernähren können, die auf dem Land geblieben ist. Die meisten stranden in den Slums, bleiben arbeitslos und schaffen nur selten den Absprung in eine bessere Wohngegend.

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Die Hütten stehen dicht an dicht, rostige Wellbleche, keine Straßen in unserem Sinne, keine Strommasten, dafür derzeit jede Menge Matsch. Ich erspare mir an dieser Stelle die Beschreibung von Einzelheiten. Schaut Euch die Bilder an, sie sprechen für sich. Wenn man dann noch einzelne Familienschicksale erfährt, für die keiner etwas kann, beginnt man sich für den unermeßlichen Reichtum zu schämen, in dem man selber leben darf. Der Besitz einer Kuh, der ohne Hilfe von außen unmöglich wäre, ist einigen Familien dank Henrys Stiftung möglich und sichert diesen das Überleben. Die nicht unbedingt selbst benötigte Milch kann verkauft und so einiges andere Lebensnotwendige beschafft werden.

In einer Nachbarortschaft besuchen wir das Dorfgasthaus, das vermutlich auch noch kaum Mzungus gesehen haben dürfte. Für sagenhafte 10 KES gibt es einen großen Becher Tee und für wenig mehr auch Gebäck. Ich bin tapfer dabei und mache mir über die hygienischen Bedingungen besser erst gar keine Gedanken. Außerdem: s. Trainingscamp!

Lake Nakuru-Nationalpark

Aber natürlich bin ich nicht nur aus karitativen Gründen hier, sondern will diese für mich außergewöhnliche Reise auch touristisch nutzen. Also mal ganz eigennützig. In einer Ein-Tages-Tour läßt sich gut der Lake Nakuru-Nationalpark erreichen und besichtigen. Was wir auf der Fahrt über den sog. Highway sehen, spottet jeder Beschreibung. Teils drei-, meist aber nur zweispurig ausgebaut, tummelt sich hier alles, was Spaß daran hat oder sich eben tummeln muß. Uralt-Fahrzeuge, Schlaglöcher, Zebrastreifen als Fußgängerüberweg (!).

Der Eintritt ist für Touris vergleichsweise teuer, aber ich sehe das als Unterstützung für die Bemühungen von offizieller Seite, etwas für den Naturschutz zu tun und das als dringende Notwendigkeit auch in den Köpfen der Jugend zu verankern. Ich bin beeindruckt von Impalas, die in aller Seelenruhe über die Straße spazieren und von allerlei Getier, das wir auch aus dem Zoo kennen, aber nicht in (fast) freier Wildbahn wie hier. Leider haben wir nur etwa vier Stunden Zeit, und da gerade Mittagszeit ist, sind natürlich keine Löwen zu sehen. Für Elefanten ist dieser Nationalpark zu klein, Nashörner können wir aus der Ferne beobachten. An einigen Stellen ist das Aussteigen gestattet und es tut gut, die durchgeschüttelten Knochen zu sortieren.

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Henrys Blindenschule in Machakos

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Nach dem Besuch einer Holzschnitzerei, in der mehrere Großfamilien in mühseliger Handarbeit aus Baumstämmen und Ästen die schönsten Dinge zu Spottpreisen herstellen, besuchen wir das Blindenzentrum, das seinerzeit Henry wieder auf die Beine stellte und seit dieser Zeit von ihm in vielfältiger Weise unterstützt wird. Nach der sechsmonatigen Rehabilitation, die das Erlernen der Blindenschrift und die Führung eines möglichst eigenständigen Lebens dieser zum Teil tief traumatisierten Menschen ermöglicht, können sich diejenigen, die noch keine Berufsausbildung genießen konnten, zum Strickmeister (Arnold Schwarzeneggers Strickmaschinen sind unverändert im Einsatz), Sattler, Tischler, Schneider, Computerbediener oder Masseur ausbilden lassen.

Die Lehrkräfte an der Schule sind äußerst interessiert an Kontakten zu deutschen Blindeneinrichtungen, um sich zunächst per E-Mail (die Internetanbindung in Kenia ist übrigens, soweit ich es beurteilen kann, flächendeckend hervorragend) auszutauschen und gute Ideen ggf. auch in Kenia umsetzen zu können. Wer hier unterstützen kann, melde sich bitte, ich kann den Kontakt herstellen.

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Auf der 89 km langen Rückfahrt über Nairobi kommt es (wie wir am Folgetag erfahren) aufgrund eines teilweisen Brückeneinsturzes zu einem kompletten Verkehrsinfarkt. Auf dem Highway geht nichts mehr, obwohl versucht wird, von zwei vorhandenen Fahrspuren jeweils fünf zu nutzen (ernsthaft) und alle Nebenstraßen, soweit sie diesen Namen überhaupt verdienen, hoffnungslos verstopft sind. Nach dem Beginn unserer Rückfahrt um 18 Uhr kommen wir gegen 6 Uhr morgens wieder nach Hause. Das hat, wie eigentlich die komplette Reise, mit Urlaub wenig zu tun. Nichtsdestotrotz lohnt sich jede hier verbrachte Stunde und verschafft mir völlig neue Eindrücke. Ach ja – ich wollte ja auch noch einen Marathon laufen…

Der Nairobi Marathon

Afrika ist anders, sehr anders. Das mußte ich schon während der Anmeldeprozedur zum Marathon erfahren. Die Seite der größten kenianischen Sportveranstaltung war erst drei Monate vor dem Lauf aktualisiert, die Anmeldung erst Mitte September möglich. Ergebnis- oder Starterlisten Fehlanzeige, dto. Akzeptanz der Master Card (nur Visa). In diesem Jahr war überhaupt erstmals die Bezahlung per Kreditkarte möglich. N. b.: Hauptsponsor und –ansprechpartner ist die Standard Chartered Bank. Die Startgebühr für Kenianer beträgt 1.000 KES (keine 8 €), für Ausländer lt. Ausschreibung 50 US-$ (etwa 36 €). Man bucht mir 1.000 KES ab. Gut, damit kann ich leben und es wollte auch später niemand mehr Geld von mir haben. Mehrere freundliche Anfragen allgemeiner Art bei den Organisatoren (ebenfalls die Bank) per E-Mail bleiben unbeantwortet. Selbst Versuche der Kontaktaufnahme über die hilfsbereite deutsche Niederlassung in Frankfurt/Main bringen keinen Erfolg. Die Startunterlagen muß man an den Vortagen in einer von drei Filialen der Standard Chartered Bank abholen, eine Marathonmesse in unserem Sinne gibt es nicht.

Der Tag beginnt mit meiner Abholung um 5 Uhr morgens. Henry, Joseph und seine Tochter Elizabeth werden den 5 km Fun Run bestreiten und finden dank hervorragender Ortskenntnisse einen ganz in der Nähe des Nyayo-Nationalstadions gelegenen Parkplatz. Um 6 Uhr stehen bereits die sog. Tricycle zum Start parat. Das sind dreirädrige Rollstühle, die von der Eleganz und vom Gewicht her an „schmiedeeiserne“ Fahrräder aus der Vor- oder unmittelbaren Nachkriegszeit erinnern. Ich konnte eines davon an einem der Vortage selber testen und weiß daher, wie anspruchsvoll deren Handhabung ist. Ihr Start wird um 6:50 Uhr erfolgen. Dahinter befinden sich die Startaufstellungen der Eliteläufer und des weniger elitären Marathonfeldes. Leider kann ich die Zahl der Starter bzw. Finisher mangels verfügbarer Starter- oder Ergebnisliste zunächst nur schätzen, es werden kaum mehr als 300–350 gewesen sein. Weit gefehlt! Eine Insiderinformation ergibt am Ende 650 Finisher. Insgesamt lockt die größte kenianische Laufveranstaltung in diesem Jahr 15.300 Läufer an, vor neun Jahren begann man mit einem Drittel davon. Interessanterweise wird beim Startgeld nicht nach Streckenlänge differenziert, die 1.000 KES fallen beim Marathon und 5 km Fun Run gleichermaßen an.

Der Streckenverlauf ist, wie soll ich sagen, nicht unbedingt der Brüller. Es geht zunächst auf einem Rundkurs sternförmig mit mehreren Begegnungsstrecken knapp 10 km nach Norden durch einige große Straßen der Innenstadt und zurück, dann auf dem ebenfalls für den Fahrzeugverkehr gesperrten Nairobi-Mombassa-Highway je zweimal 15 km (2 x 7,5 km) auf und ab in Richtung Südosten und zurück, bevor der Zieleinlauf ins Stadion erfolgt. Ich bin überrascht, daß doch einige Weiße mitlaufen, damit hatte ich nicht gerechnet. Die meisten sind junge Leute, offensichtlich Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Über dem Startbogen haben es sich in einem Baum aasfressende Marabus (große Vögel) gemütlich gemacht. Es wirkt so, als warteten sie quasi geierhaft bereits darauf, einige postmarathonale Leichen schnellstmöglich zu entsorgen. Ich freue mich, den Trainer „meiner“ Athleten zu sehen, einige von ihnen starten heute über diverse Distanzen, zwei im Marathon.

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Unter einem Konfettiregen erfolgt pünktlich um 7 Uhr der Startschuß. Ich wundere mich immer wieder über mich selbst. Ich, der ich Morgenläufe hasse wie die Pest, nehme das im Rennen ganz locker und bin auch wach. Schon bald geht es eine ordentliche Steigung hinauf, geschätzte 150 Höhenmeter werden insgesamt wohl zusammengekommen sein. Wir streifen den Uhuru-(Freiheits-)Park, eine seltene grüne Oase in der für mich wenig attraktiven Stadt. Die erste Wasserstelle, die übrigens ca. alle 3 km stehen, kommt für mich schon nach einer guten Viertelstunde, man gibt es in geöffneten Drittelliterflaschen aus. Das ist es dann aber auch schon mit der Verpflegung, mehr gibt es nicht. Ich habe zur Sicherheit zwei Gels in meiner Gürteltasche dabei, man ist ja schließlich vorbereitet.

Noch bevor ich zum ersten Mal trinken kann, rauscht erstmals der Keniaexpress vorbei, und zwar ortstypisch in Bataillonsstärke, einige Tricycles in halsbrecherischem Tempo dazwischen. Meine Fresse, haben die alle ein Tempo drauf! Nicht, daß Ihr meint, hier ginge es um nichts, weit gefehlt. In allen Kategorien gibt es Preisgelder zu gewinnen. Im Marathon z.B. erhalten der und die Erste jeweils 1.500.000 KES, der und die Zehnte noch 10.000 KES, und dafür lohnt es sich, die Beine in die Hand zu nehmen. Das ist hier richtig gutes Geld. Nach der ersten Steigung scheint mein Puls in Ordnung zu sein, die Beine sind locker, die neuen 195 g-Schlappen ein Gedicht. Inwieweit sechs Tage ausreichend sind, mich an die ungewohnte Höhe von 1.600 m ü. NN zu gewöhnen, wird sich zeigen. Dazu später mehr.

Noch in der Innenstadt begegnet mir das zahlenmäßig große Feld der Führenden erneut. Ich versuche, mit einigen bedeutenden Gebäuden ein paar nette Fotos einzufangen, ansonsten ist das Bild aus der Sicht eines Germanen doch eher trist. Natürlich ist es für die Hiesigen ungewohnt, daß so ein weißer Depp zwischendurch knipst und dazu auch mal stehenbleibt, aber sie haben ihren Spaß daran und so locke ich den einen oder anderen doch aus der Reserve. Einige km laufe ich mit drei netten Weißen zusammen, einem Holländer und zwei Aussis. Ich bin froh, ein wenig Ablenkung zu haben und auch mal plaudern zu können. So komme ich sogar an ein Bild, auf dem ich selber zu sehen bin. Dem mitlaufenden Kenianer mache ich deutlich, daß ich heute unbedingt wenigstens einen Schwarzen hinter mir lassen muß und halte ihn kurzzeitig an der Schulter fest. Schön, daß er den Spaß versteht und mitmacht.

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Einige durchaus bemerkenswerte Gebäude an den Straßenrändern, so z.B. der Regierungssitz als das höchste der Stadt machen deutlich, daß Stadt und Land zwar aufstrebend sind, sie zeigen aber auch gleichzeitig die hier zu verzeichnenden extremen Gegensätze. Wir passieren eine Tankstelle, die Spritpreise sind für unser Verständnis mit umgerechnet 80 bis 90 Cent niedrig, gemessen an einem kenianischen Einkommen jedoch sehr hoch. Nach knapp 10 gelaufenen km kommen wir wieder am inzwischen etwas verwaist wirkenden Startbereich vorbei, der sich aber schon bald bei der Startaufstellung zum Halbmarathon wieder füllen wird. Bei der Unterquerung eines Fußgängerüberwegs über den Highway amüsieren sich die dort stehenden Schaulustigen über den sie von unten knipsenden Verrückten. Die starken sozialen Gegensätze können am Straßenrand beobachtet werden: Einerseits finden Umzüge mit von Menschen gezogenen Karren statt, andererseits werden direkt dahinter chromglänzende Karossen feilgeboten.

Wie überall freuen sich auch hier die Unterstützungskräfte an den Verpflegungsstationen, wenn der Läufer sich artig bei ihnen bedankt und ihr freundliches Lächeln für die Weltöffentlichkeit im Bild festhält. Der führende Tricyclist überholt mich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ich glaube Joseph gerne, der behauptet, wenn den Spitzenfahrern auch Spitzentechnik zur Verfügung gestellt würde, bestünde kenianische Dominanz auch in diesen Disziplinen. Nur sagenhafte 1:55 Std. benötigt der Erste für die Marathondistanz und gewinnt mit fünf Minuten Vorsprung. Ich merke übrigens schon, daß ich auffalle: Auch die Presse interessiert sich für mich und schießt einige Fotos. Hierzu später noch ein Kuriosum. Die mich in der Folge überholenden 10 km-Läufer kämpfen mit großem Herzen verbissen um die Preisgelder.

Nach etwa 12 km wechseln wir die Straßenseite und können im Folgenden den durch uns verursachten Stau beobachten; die Fahrzeuge müssen sich über irgendwelche Ausweichstrecken quälen. Ein Beweis dafür, wie ähnlich wir doch alle ticken, zeigen zunächst teilnahmslos wirkende Tagelöhner an der Strecke: Spricht man sie an, reagieren sie erfreut und freundlich, insbesondere, wenn der sie Mzungu knipst. Erstmals erreiche ich den südlichen Wendepunkt und habe damit nach etwa 17 km das erste Viertel des südlichen Streckenabschnitts geschafft. Die Aussicht, das jetzt noch dreimal abspulen zu müssen, weckt allerdings spontan eher weniger Begeisterung bei mir. Aber ich versuche, mich an der Exotik dieses Laufs zu erfreuen, das hilft. Zumindest meistens, die mentale Herausforderung ist schon hoch und wird im weiteren Verlauf mit der wachsenden Erschöpfung noch deutlich zunehmen. Die Halbmarathonmarke nehme ich nach guten 1:53 Std., was bei der Streckenbeschaffenheit durchaus in Ordnung ist, nicht aber in Anbetracht des Laufs in für mich ungewohnter Höhe von 1.600 m. Und dieses deutlich zu hohe Tempo sollte sich im weiteren Verlauf rächen.

Ich bin von einem ungewohnten Anblick völlig geplättet: Ich überhole jetzt etliche Kenianer. Aber nicht die meiner Preisklasse, sondern wandernde Gazellen. Warum die wandern? Das ist ganz offensichtlich. Das Feld der Führenden, ich habe es mehrfach beobachten können, war über eine lange Zeit teilnehmerstark und sehr schnell. Nach etwa 37 oder 38 km muß sich dann aber die Spreu vom Weizen getrennt haben, wenn man bei dieser Leistungsdichte überhaupt von Spreu sprechen kann. In dem Augenblick aber, wo die nicht ganz so schnellen Läufer erkennen mußten, daß sie einen Platz unterhalb der ersten Zehn erreichen würden und damit aus den Preisgeldern herausgefallen waren, war es auch Essig mit der Motivation. Wofür noch quälen? Ist doch wurscht, ob Du dann Zwanzigster oder Fünfzigster wirst, das interessiert eh keinen mehr.

Als mich die Halbmarathonläufer überholen, wähne ich mich an einer Bahnsteigkante zu stehen, so sehr raubt mir ihr Tempo den Atem. Daß ich nicht gerade schnell bin, weiß ich schon, diese Demonstration geballter Leichtfüßigkeit, aus nächster Nähe gefühlt und gesehen, wirkt aber schon demotivierend. Als ich mir dann aber klarmache, daß das vom Alter her meine Kinder sein könnten und die darüber hinaus im harten Kampf um die existenziell notwendige Kohle stehen, ich es mir jedoch leisten kann, nur zum Spaß vor mich hinzustolpern, ist meine Welt wieder in Ordnung.

Am oberen Wendepunkt schiele ich daher schon einmal sehnsüchtig in Richtung Stadion, muß die zweimal 7,5 km aber nochmals irgendwie hinter mich bringen. Etwas befremdlich wirkt auf mich das Verhalten vieler Schüler, die den Halbmarathon im lockeren Spaziergang schlendernd bewältigen, mehr als 4 km pro Std. wandern die wohl nicht. Von Einsatz keine Spur. Eine Schülerin ist am Telefonieren und erklärt ihrem Gesprächspartner, daß sie beim Zielein“lauf“ versuchen wird, die Runde im Stadion zu joggen. Na gut, es handelt sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung und da ist jeder Teilnehmer willkommen. Mit Sport hat das aber aus meiner Sicht wenig zu tun. Etwas verarscht käme ich mir als Verpflegungshelfer schon vor, wenn solche Teilnehmer im Schneckentempo zum Flaschenempfang (wofür eigentlich?) behäbig auf mich zukommen. Mich nervt, wenn ich mich, jetzt bereits auf dem Zahnfleisch laufend, noch durch die in breiten Reihen spazierenden Teilnehmer durchkämpfen bzw. diese umkurven muß.

Nach dem letzten Wendepunkt bei etwa 33 km beginnt es mir richtig dreckig zu gehen, die ungewohnte Höhe und das nicht angepasste Anfangstempo fordern ihren Tribut. Ich kann kein Wasser mehr sehen und muß es mir doch reinquälen. Benetze mir die Arme, was ich sonst nie tue, und erwische mich beim beglückenden Gedanken an die Aussicht, im Ziel eine Flasche Wasser über dem Kopf geschüttet zu erhalten. Das kenne ich überhaupt nicht von mir. Irgendwie schaffe ich es zum Schild „Noch drei km“. Gehen? Nein, kommt nicht in Frage, solange ich nicht völlig zusammenbreche. Noch zwei km, ich bekomme die Füße kaum noch hoch, das Laktat scheint mir aus allen Poren zu quellen. Schön, wenn dem so wäre, denn dann hätte es sich verdünnisiert. So ist es gefühltes zusätzliches Gewicht und die Gravitation scheint auf den letzten km besonders ausgeprägt zu sein.

Jetzt, auf Höhe des Stadions, muß auch noch mal eine kleine Begegnungsstrecke genommen werden, auf die könnte ich im Augenblick gut verzichten. Warum auch nur habe ich meinen Fans etwas von „Sub 4, wenn alles normal läuft“ gesagt? Sic tacuissem. Ich hätte besser mein Maul gehalten und so fühle ich mich unter Zugzwang. Ein wirklich schöner Anblick ist kurze Zeit später das geöffnete Marathontor, das das baldige Ende der Qualen verheißt. Warum um alles in der Welt müssen die Marathonläufer jetzt auch noch die beiden Außenbahnen nehmen? Völlig überflüssige rund 50 m gegenüber der Innenbahn sind zu bewältigen. Herrschaftszeiten, und ich will ein Ultraläufer sein! Joseph und seine Tochter feuern mich nochmals an und winken, was das Zeug hält. Für gefühlte 1,83 m kann ich so meine Schmerzen nochmals verdrängen, dann aber sehe ich endlich das Zieltor auf gerader Bahn vor mir liegen. Selten war das Wort „Finish“ süßer. Ich bin völlig am Ende. Irgendwie habe ich die Sub 4 doch noch gerade so hinbekommen.

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Ganz langsam humpeln wir gemeinsam, Josephs Elizabeth an meiner Hand, aus dem Stadion. „Stop, Medal Ceremony!“ befiehlt Joseph und ich kann für die Kamera äußerlich tatsächlich noch einmal entspannt wirken. Außerhalb des Stadions mit der einzigen Tartanbahn Kenias ist dann aber erst einmal Ende mit der Selbstbeherrschung, völlig apathisch verbringe ich die nächsten Minuten in der Horizontalen. Schon wieder nur dieses Sch…wasser! Eine gute Seele schicke ich ein paar Flaschen kalte Cola kaufen und nachdem ich einen Liter davon abgepumpt habe, kehrt so ganz langsam das Bewusstsein zurück. Nein, ganz so dramatisch war’s jetzt auch wieder nicht, aber der Zucker bewirkt schon Wunder.

So langsam finden sich auch einige der hier gestarteten Läufer des Trainingscamps aus dem Kanjeru-Slum ein. Wenn man sich zwei Beispiele vor Augen führt, kann man erkennen, welches Potential hier schlummert und aus purer wirtschaftlicher Not gehoben werden muß und wird: Ein Halbmarathoner ist mit einer beachtlichen Zeit von 64 min. nur Vierundzwanzigster. Mit anderen Worten: Dreiundzwanzig sind schneller als 64 min. gelaufen, der Sieger bei nicht flachem Verlauf 61:30 min! Abdallah hat seinen ersten Marathon statt in den angepeilten 2:19 in 2:23 Std. geschafft und wird damit 108. 107 Läufer waren schneller als 2:23 Std., der (sicher völlig unbekannte) Sieger benötigte bei geschätzten rund 150 Höhenmetern in 1.600 m ü. NN nur 2:10:55 Std. Wie traurig für uns, daß wir uns nicht an wirklich schnellen deutschen Läufern erfreuen können, die international wenigstens halbwegs mithalten können. Diese Erkenntnis ist traurig, aber die hat der Mzungu mit seinem Trip auf den Läuferolymp ja geradezu provoziert.

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Zurück in meiner Unterkunft stehen zwei Kenianer an der Schlüsselausgabe. „Did you run the marathon?“ werde ich gefragt. Diese Geistesleistung ist angesichts eines stinkenden Menschen in Rennbekleidung und umgehängter Medaille wirklich bemerkenswert. Dann aber erschließt sich mir der wirkliche Sinn der Frage: „I saw you on TV this morning!“ Na also, endlich erfährt die Leistung des weißen Mannes eine angemessene Würdigung und ich verweise nochmals auf die Eilmeldung zu Beginn des Berichts. Von nichts kütt halt nichts!

Muß man also, abschließend gefragt, diesen Marathon gelaufen sein? Sicherlich ist er kein Muß. Die Exotik des Laufs macht ihn jedoch schon zu etwas Besonderem, auch wenn die Strecke, nun ja, nicht gerade zu einer optischen Reizüberflutung führt. Eine echte Herausforderung und körperliche Erfahrung ist allerdings das Laufen auf einer solchen Höhe. Insofern spricht nichts gegen eine Teilnahme, insbesondere wenn man diese mit einem ohnehin anstehenden Besuch kombinieren kann und nicht nur deshalb über 6.500 km anreist. Allerdings ist eine Betreuung durch Einheimische in dieser für uns ungewohnten Umgebung mit chaotischen Verkehrsverhältnissen schon sehr hilfreich. Ich mußte mich um nichts kümmern und nur ein Bein vor das andere setzen. Herausforderung genug! Ich werde meine Freunde, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, auf jeden Fall nicht nur in Deutschland wiedertreffen und in den kommenden Jahren vielleicht nochmals aus diesem interessanten Land berichten. Kwaheri Kenya!

 

Sehr viele Fotos zu diesem Bericht sind auf marathon4you.de zu finden.

 

Streckenbeschreibung:
Ausschließlich Straße. Alle 5 km erfolgt eine Ausschilderung und auf den letzten drei.

Startgebühr:
1.000 kenianische Schillinge (knappe 8 €), für Ausländer nominell 50 US-$ (ca. 36 €).

Zeitnahme:
Einmalchip in der Startnummer. 5 Stunden Zielzeit (die angebotenen Zwischenzeit-Tabellen beginnen bei 2:00 und enden bei 4:00!!!).

Rahmenprogramm:
Wenig.

Weitere Veranstaltungen:
42 km Tricycles, Halbmarathon mit Wheel Chairs, 10 und 5 km-Lauf, 3 km Safari Junior Familiy run.

Auszeichnung:
Medaille, Urkunde aus dem Internet.

Logistik:
Bewachte Kleiderbeutelabgabe, alles nahe beieinander.

Verpflegung:
Wasser.

Zuschauer:
Nur vereinzelt.