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43. New York City Marathon am 04.11.2012


“Sandy” zum Opfer gefallen oder: Wie ich fast in New York gelaufen wäre...

Nie und nimmer werde ich nach New York gehen! So lautete mein gerne wiederholtes Credo über Jahre. Was sollte ich auch als rheinischer Westerwälder, gewohnt an ruhiges Leben in vergleichsweise dünn besiedeltem, waldreichem und hügeligem Gelände in den vegetationslosen Häuserschluchten Manhattans und anderer Stadtteile? Irgendwann aber sitzt man dann doch vorm Fernseher, sieht sich die Live-Übertragung an, erahnt die Freude der Teilnehmer, die Begeisterung der Zuschauer und läßt sich von einem Bazillus anstecken, der nur durch aktive Teilnahme erfolgreich bekämpft werden kann.

Nachdem wir ganz tief in den Sparstrumpf geschaut hatten, ist es in diesem Jahr nun endlich so weit. Da unsere Kinder – der jüngste ist zwanzig – aus dem allergröbsten heraus sind und sich sogar schon alleine anziehen können, wird es über den „Big Apple“ hinaus eine schöne Rundreise geben. Nach Miami Beach, Los Angeles und die Westküste bis hinauf nach San Francisco soll unser Programm führen.

Für Boston hatte ich mich 2007 gerade so über die Zeit qualifizieren können und war daher, wenn auch nur für fünf Übernachtungen, auf eigene Faust über den großen Teich gekommen. Dort waren für meine damalige Altersklasse M45 3:30 Std. der Türöffner; diese Zeit galt 2012 letztmals für die AK M50/55 auch für New York City (ab 2013: deutliche Verschärfung auf 3:06 Std.!). Da die 3:30 für mich schon damals grenzwertig waren und ich darüber hinaus keine Lust hatte, ggf. dreimal bei der Lotterie durchzufallen und erst dann einen Startanspruch zu erhalten, entschieden wir uns, die Dienste eines großen Reiseveranstalters in Anspruch zu nehmen. Diese beinhalten eine Startplatzgarantie inkl. Erledigung der Anmeldeformalitäten. Daß die Reisebegleitung u.a. durch den von mir hochgeschätzten Herbert Steffny durchgeführt wird, war für uns ein zusätzliches Bonbon. Schon das sommerliche Vorbereitungsseminar in Gießen am Nachmittag des Marburg-Marathons war eine tolle Sache für uns.

Nie und nimmer werde ich nach New York gehen! Was aber, wenn man dann doch will und nicht kann? Eine Woche vor dem geplanten Abflug beginnen wir unruhig zu werden: Hurrikan in der Karibik, der nach Norden ziehen soll. Na ja, wird schon nicht so schlimm werden. Wer weiß, ob überhaupt, man kennt das ja. Am Wochenende wird es immer ernster und am Montag fallen alle USA-Flüge aus. Unsere Flüge gehen am Mittwoch. Hoffentlich. 1.500 km x 1.500 km mißt der Riesensturm und hält genau auf die Ostküste zu, und das in breitester Front. 400 l Regen auf den Quadratmeter sind möglich, so viel wie in Hamburg in einem halben Jahr. Erwartet werden bis zu 4 m hohe Flutwellen, der Vollmond macht’s möglich, und wenn sich Sandy auch noch mit zwei von Kanada kommenden Sturmfronten vereinigen sollte, dann gute Nacht! Einen Meter Schnee innerhalb von 36 Stunden drohen sie uns im diesen Fall an.

Unser Reiseveranstalter hält uns per E-Mail und Homepage auf dem laufenden, die Veranstalter genauso. Und wir zittern. Kommt’s ganz dicke mit den Verwüstungen, können wir uns sogar eine Absage des Marathons vorstellen. Nach dem Montags- wird auch der Dienstagflug annulliert, Bilder vollgelaufener U-Bahn-Stationen und eingestürzter Häuserfassaden erreichen uns. Völlige Verwirrung am Dienstagabend: Auf der Lufthansa-Seite ist unser Flug vorerst gestrichen, der Reiseveranstalter hat Streß ohne Ende und weiß auch nichts Genaues. Bereits gestrichene Flüge sind plötzlich wieder offen und es gibt erste Gerüchte, der Marathon fiele aus.

Am Mittwochmorgen ist es amtlich: Auf der Lufthansa-Seite lesen wir die endgültige Annullierung unseres Fluges, wenig später wird das durch unseren Veranstalter bestätigt. Sie bemühen sich, uns auf einen späteren Flug umzubuchen in der Hoffnung, vielleicht am Freitag oder Samstag wegzukommen. Doch keine Chance für uns, alle „Löcher“ sind bereits mit Passagieren gefüllt, die schon am Montag oder Dienstag in die Röhre geschaut haben. Nachmittags kapituliert unser Veranstalter, nichts geht mehr. Auch der empfohlene Kontakt zu einem netten Lufthansa-Mitarbeiter hilft nicht weiter. Und letztlich auf gut Glück zum Flughafen zu fahren und es am Schalter zu versuchen, ist auch nicht unser Ding.

Vereinzelt gehen zwar Flüge von anderen Städten aus, aber auch nur mit denjenigen Passagieren, die für die entsprechenden Tage gebucht haben. Und wessen Hotel z.B. im südlichen Manhattan steht, den erwartet ein garantiert stromfreies Zimmer. Nee, das brauchen wir nicht. Und, wer weiß, wie man ggf. vom Flughafen in die Stadt kommt, wenn, wie wir von Insidern hören, viele Flughafenmitarbeiter in NYC aufgrund des zusammengebrochenen Nahverkehrs gar nicht an ihre Arbeitsplätze kommen. Schweren Herzens treffen wir die Entscheidung, New York abzublasen und mithilfe unseres Veranstalters gelingt es, unsere Tickets in einen Direktflug nach Miami umzubuchen. So können wir wenigstens etwas früher die Anschlußreise beginnen und noch, wie geplant, die Westküste besuchen.

Am Donnerstag kommt abschließend (für uns) eine E-Mail der veranstaltenden NYRR: Alles konzentriert sich auf den Marathon, die Eröffnungszeremonie am Freitag und der 5 km-Lauf am Samstag sind allerdings abgesagt. An beidem hätten wir teilgenommen. Und dann: Jippieeh! Wer 2012 aufgrund des Wetters NY nicht hat erreichen können, bekommt auf Antrag einen garantierten Startplatz für 2013! Was aber lesen wir im Kleingedruckten? Das gilt ausdrücklich nicht für Leute wie mich, die ihren Startplatz über einen Reiseveranstalter gebucht haben, Geld gibt es auch keines zurück. Da packt mich erstmals wirklich der Zorn. Natürlich, das ist Marktwirtschaft. Solange die Leute in Scharen strömen, kann sich der NYRR solche Unverschämtheiten leisten. Ich glaube nicht, daß sich ein deutscher Veranstalter so etwas getraut hätte.

Verloren habe ich nicht nur die Startgebühr von sage und schreibe 375 €, auch die Startgebühren für den 5 km-Lauf (2 x 25 € „ermäßigt“ um 50%) und die Nudelparty für mein Weib. Alles in allem insgesamt locker 500 €, die wir weggeworfen haben. Zum Vergleich: 2005 hat meine fünftägige selbstorganisierte Palermo-Marathonreise komplett mit absolut allem nur 420 € gekostet. Hoffentlich bekomme ich wenigstens die Hotelkosten für NY wieder.

Am Samstagmorgen unserer Zeit lese ich auf spiegel.de und finde es doch tatsächlich auf der Seite der NYRR bestätigt:
 

NYC_cancel

Taj, was fühle ich jetzt? Schadenfreude? Nein, das ist es wirklich nicht, denn das wäre erstens höchst unfair denen gegenüber, die es noch geschafft haben hinzukommen, und zweitens wären wir selber vor Ort gewesen, wenn wir  denn eine Möglichkeit gefunden hätten. Es ist mehr ein Gefühl der Genugtuung in Richtung Veranstalter.
Ob ich den New York-Marathon nochmals angehen werde, steht in den Sternen. Verarschen kann ich mich jedenfalls auch selber und das deutlich billiger.

Nachtrag: Nach Wochen hat sich der NYRR doch dazu durchgerungen, das Startgeld zurückzuzahlen oder alternativ einen sicheren Startplatz für 2013, 2014 oder 2015 (allerdings ohne Erstattung) anzubieten. In Absprache mit unserem Reiseveranstalter entscheiden wir uns für die Rückzahlung, die auch erfolgt, inkl. der Startgebühren für den 5 km-Lauf und die Nudelparty. Und auch interAir zeigt sich absolut generös: Wir erhalten sämtliche für den NY-Aufenthalt gezahlten Gelder anstandslos zurück. Das überzeugt uns: 2014 werden wir, wieder mit interAir, einen neuen Versuch starten.