Banner_1000

 

XI Maratona Internazionale Città di Palermo am 20.11.2005

 

Die ärmste Provinzhauptstadt Italiens bietet sehr schöne Ecken

Bei der Lauf-Jahresplanung 2005 fiel überraschenderweise auf, daß es gegen Ende des Jahres wieder unangenehm kalt werden würde. Was also tun, wenn die zur Verfügung stehende Zeit nur Marathons im zeitigen Frühjahr und späten Herbst zuläßt und man nicht mehr als notwendig frieren und/oder naß werden will? Ein Blick in den internationalen Laufkalender genügte: Palermo sollte es werden.

So stehen mein Freund Hans-Peter Probst und ich am 17.11.05 am Köln/Bonner Flughafen und fliegen zum Taxipreis an den Südzipfel Italiens, wo uns nach einer knapp einstündigen Busfahrt vom Flughafen eine gigantische Smogwolke begrüßt und auch bis zum Abflug nicht mehr verläßt. Die katastrophale Verkehrssituation in Palermo ist das Hauptproblem der Stadt neben einer Unzahl historisch bedeutsamer und eindrucksvoller Gebäude, die trotz sichtbaren Bemühens der Stadtverwaltung mehr und mehr verfallen.

Dennoch bietet die ärmste Provinzhauptstadt Italiens sehr schöne Ecken, die sich aber oft erst auf den zweiten oder dritten Blick offenbaren. Wir hatten bei unserem fünftägigen Aufenthalt ausreichend Gelegenheit, diese bei Tag und Nacht kennen zulernen. Um es vorwegzunehmen: wir sind weder in Feuergefechte geraten, noch beraubt worden. Dennoch muss man sein Glück sicher nicht herausfordern.

Untergekommen sind wir im Hotel del Centro auf der Via Roma im Herzen der Stadt, keine 5 Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt, mit erträglichem Standard und vor allem „mittendrin“. Von hier aus starten wir unsere Exkursionen und sind am Freitag um 16 Uhr die ersten, die ihre Startunterlagen im Englischen Garten abholen. Schöne Überraschung: es gibt einen durchaus brauchbaren Rucksack mit Handytasche und nahrhaftem Inhalt (Nudeln, Iso-Getränke, Riegel und Wasser). Eine Marathonmesse, so wie wir sie von größeren Stadtmarathons her kennen, gibt es nicht, wohl aber einige wenige Stände in einem Zelt, was für diesen Zweck völlig ausreicht.

Schon anhand der Starterliste (Nachmeldungen sind nicht möglich, genau so wenig eine Abholung der Startunterlagen am Wettkampftag) können wir erkennen, daß sich das Läuferfeld gegenüber 2003 auf weniger als ein Drittel reduziert hat: letztlich werden 260 Marathoni (davon 15 Deutsche) und 855 Halbmarathoni (davon 4 Deutsche) das Ziel erreichen.

Wegen des frühen Starts um 09.15 Uhr stehen wir am Sonntag zeitig auf, um nach einem knappen Frühstück im Hotel rechtzeitig mit dem Bus zum Start zu kommen. Das Umziehen und Deponieren der Kleider in einem kleinen Zelt geht rasch vonstatten, so daß wir nach minimalem Aufwärmen bei bedecktem Himmel und idealer Lauftemperatur von ca. 14 bis 16° um 09.10 Uhr am Start stehen. Nur: warum stehen alle verkehrt herum?

Einem Laufbericht vom Palermo-Marathon 2003 war zu entnehmen, daß es zunächst – prima zum Warmlaufen – zunächst die Via della Libertà hinab in Richtung Stadtmitte gehen würde. Somit wären auch die letzten Kilometer der zu laufenden 2 Runden bergab gewesen, gute Aussichten. Aber Pustekuchen: die Verbrecher hatten die Strecke schlicht umgedreht und so geht es erst einmal stramm nach oben in Richtung Monte Pellegrino. Toll.

Was haben wir zwei spätberufenen Freizeitläufer uns vorgenommen? Hans-Peter (M 40) hat eine Bestzeit von 3:25 aus 8 Marathons vorzuweisen, ich (M 45, 5 Marathons) aus dem Frühjahr in Bonn eine 3:30:59. Natürlich hätte insbesondere ich gerne die 3:30 geknackt, das aber bei vorsichtig geschätzten 150 Höhenmetern? Und die letzten drei km bergauf? Und wie bin ich überhaupt drauf?

Wir laufen daher erst einmal vermeintlich verhalten an. Die ersten beiden Kilometerschilder übersehen wir in der Läuferschar leider, aber 15:05 nach 3 km ist eigentlich ja prima, wenn nicht – na klar, super, erster kurzer Boxenstop bei km 2 und wieder an Hans-Peter herangearbeitet. Klappt gut, aber die ersten Körner sind unnötigerweise verbraucht, die vielleicht am Ende fehlen werden.

Was ist mit mir los? Nach Überqueren der Piazzi Vittorio Veneto und Leoni drückt es schon wieder. Wer das kennt, weiß, es gibt nur eines: laufen lassen. Also wieder an Hans-Peter heranarbeiten, was aber gut gelingt. Klar, bisher ist ja noch nicht viel geleistet. Wir laufen auf der langen, geraden Viale Diana aus der Stadt hinaus in Richtung Fuß des Monte Pellegrino, eine lange Steigung, die aber gut zu bewältigen ist.

4 Stationen mit Wasser und isotonischen Getränken, dazu weitere 4 Punkte mit Schwämmen sorgen unterwegs für eine ausreichende Verpflegung. Welch eine Verschwendung jedoch: in der Regel gibt es von beidem Halbliterflaschen, die meistens nur angetrunken im Straßengraben landen.

Zurück in Richtung Stadt auf der Via Ercole, wieder auf die Viale Diana, wo uns Hundegebell aus dem Tierheim sowie Pferdegetrappel aus dem Hippodrom begleiten und am Start vorbei. Bergab - das wären sympathische letzte Kilometer geworden. Wie gesagt, wären... Hinter dem Start kommt mit großem Getöse Blaulicht & Co auf uns zu. Mit Riesenschritten läuft uns bereits der Führende, Hillary Kiptanui aus Kenia, entgegen. Leider weiß ich nicht, ob er mit Moses Kiptanui verwandt ist. Mit großem Abstand folgt der Zweite, Bibi Hamad aus Marokko. Diese Zwei werden auch am Ende in respektvollem Abstand voneinander vorne liegen.

Jetzt mitten in der Stadt geht es über die Piazza Politeama mit dem herrlichen Teatro Massimo (monumentaler Opernbau mit 3.200 Plätzen, größtes Opernhaus Italiens, eingeweiht 1897) weiter hinab in Richtung Hafen. Die Zuschauer jubeln uns zu. Zumindest könnten sie das tun. Aber offensichtlich interessiert sie der Lauf so viel, als ob in China ein Sack Reis platzt. Die einzigen, die sich der Läuferschar zuwenden, sind die zahleichen Polizisten, welche mit Engelsgeduld und – soweit ich es beurteilen kann - mit Erfolg die genervten Autofahrer am Überfahren der Sportler hindern. So ersetzt ein dröhnendes Hupkonzert die sonst gewohnte Anfeuerung von den Straßenrändern. Auch eine nette Erfahrung.

An Quattro Canti („4 Ecken“, Kreuzung der beiden Anfang des 17. Jahrhunderts wichtigsten palermitanischen Straßen, jeweils eine konkav geschwungen Palastfassade) in den Corso Vittorio Emanuele abgebogen, geht es wieder hinauf, vorbei an der Kathedrale. Eines der beeindruckendsten Gebäude der Stadt mit Vorgängerbauten (inkl. Moschee) seit dem 6. Jahrhundert.

Ob es der Gedanke ans Weihwasser war? Ich könnte verzweifeln: die Blase drückt schon wieder unerträglich. Dabei habe ich nicht anders getrunken als sonst auch. Hinter der herrlichen Porta Nuova (prunkvolles Stadttor) ein Gebüsch. Drei, zwei, eins, meins. 55 Sekunden später wieder zurück auf die Straße. Hans-Peter natürlich weit enteilt. Noch liege ich durchaus im Zeitlimit. Auch wenn ich mir vorgenommen habe, diesmal mehr von der Umgebung wahrzunehmen (was ich auch mache): ich versuche wieder aufzuschließen. 4:31, 4:38, 4:38. Hans-Peter nicht zu sehen. OK, Gang herausnehmen, noch liegt das meiste vor mir.

Durch den Normannenpalast (Sitz des sizilianischen Regionalparlaments, ehemals Emirpalast der Araber und Regierungssitz der Normannen und Staufer) hindurch – beeindruckend! - im Straßengeviert wieder zur Porta Nuova, den Corso Vittorio Emanuele herunter und über die Vie Maqueda, Trieste, Pavia und Torino erneut auf die Via Maqueda in Richtung Start. Halbmarathon bei 1:44:19. Klasse, voll im (ehrgeizigen) Plan. Trotz Steigungen und 3 Aufholjagden. Aber wie heißt es so schön: ein Marathon ist ein 10er mit 32 km Anlauf. Wer hat den Hammermann (in Frankfurt steht er leibhaftig!) nicht schon kennen gelernt? Also, den Tag nicht vor dem Abend loben. Da, endlich, nach 23 km sehe ich Hans-Peter wieder. Er ist mir untreu geworden und läuft mit einem Italiener schön im 5er Schnitt. Ich gebe Gas und hole beide ein. Ein paar Worte Kauderwelsch italienisch/englisch/deutsch reichen für eine Minimal-Unterhaltung.

Vom Monte Pellegrino wieder am Anfang der Stadt, fragt mich Hans-Peter, wie ich mich fühle. Ich bin ehrlich: kaputt, muskulär, die Oberschenkel verhärten. Wir laufen mittlerweile weit unter einem 5er Schnitt, eindeutig zu schnell für mich. Ich muss schließlich selber ankommen und reduziere etwas. Hans-Peter zieht davon, ich meine stehen zubleiben, laufe aber weiter um die 4:50. Er hat unheimlich Power und schon ist er aus meinem Gesichtskreis verschwunden. Ich laufe noch ein paar wenige Kilometer mit dem Italiener, aber er kann nicht Schritt halten und fällt zurück. Schade, er ist bisher sehr gleichmäßig gelaufen.

Km 32, 33, 34. Es läuft weiter gut, die Zeit stimmt. Die Beine nicht. Ich mache ihnen klar, daß der Marathon 42 km dauert und sie entwickeln tatsächlich Verständnis für mich. Noch 3 km. Jetzt die letzte Steigung. Nicht heftig, aber lang. Also doch heftig, nach 38 -39 km. Ich überschlage die Zeit: wenn ich jetzt einbreche, reicht ein 6er Schnitt, um unter dreieinhalb Stunden zu bleiben? Er würde gerade so reichen. Ich breche nicht ein. Vor mir das Zieltor in fast 2 km Entfernung. Es kommt und kommt nicht näher.

Die letzte große Kreuzung. Die Polizei hält den Verkehr an. Zumindest fast. Unmittelbar vor mir schießt ein Audi Cabrio vor meine Füße, bleibt stehen. Ich kann nicht stoppen und knalle mit einem saftigen Fluch auf den Lippen dagegen. Egal. Vorbei und wieder Fahrt aufgenommen. Noch 500 Meter. Da sehe ich Hans-Peter wie ein HB-Männchen (ja, liebe Kinder, wir alten Männer kennen das noch!) auf und ab hüpfen. Ich überquere in 3:27 die Ziellinie. Wahnsinn. Herbert Steffny, ich danke Dir und Deinen Trainingsplänen! Hans-Peter und ich führen hinter dem Ziel einen Freudentanz auf, die Außenwirkung tangiert uns nur periphär. Er ist nur knapp über 3:20 gelaufen. Die letzten 8 km im glatten 4er Schnitt, sensationell.

Im Nachhinein müssen wir leider feststellen, daß die offizielle Ergebnisliste nur die Bruttozeiten ausweist, was einen doch ziemlich ärgert, wenn man Bestzeit gelaufen ist.

Hinter dem Zieleinlaufkanal müssen wir dann leider die nagelneuen Champion-Chips, die man uns ohne Pfand (!) mit den Startunterlagen ausgehändigt hatte, wieder abgeben und bekommen zum Trost eine Tüte mit Verpflegung (Iso, Wasser, Orange, Banane). Ungewöhnlich, aber auf diese Art bekommen auch die Letzten noch ausreichende Verpflegung. Dahinter gibt es weiteres Obst und endlich auch die ersehnte Medaille.

Wir fragen nach der Duschgelegenheit, wo wir unsere Duschgutscheine einlösen können. Nein, Duschen gibt es trotz Gutscheinen nicht. Also wird der Body nur abgerubbelt und mit trockener Kleidung versehen.

Anschließend zum Barilla-Lkw, wo wir die Pasta-Gutscheine einlösen und eine vergleichsweise kleine Portion Nudeln mit Soße erhalten. Danach machen wir uns langsam zu Fuß auf den Heimweg und beklatschen noch die letzten beiden Läufer, die vor dem Besenwagen nach fünfeinhalb Stunden mit schweren Schritten einlaufen.

Dass Alter vor Torheit bzw. Unsportlichkeit nicht schützt, zeigte ein „Laufkamerad“ aus Rostock: ihn hatten wir im Hotel kennen gelernt und er war mit einer Zielzeit von 3:40 gestartet. Bei km 8 hatten wir ihn überholt, um ihn zu unserem großen Erstaunen noch auf der ersten Runde wieder ca. 3 km vor uns zu sehen. Er hatte, unbemerkt von der Organisation, abgekürzt und wiederholte dies ganz offensichtlich auch auf der 2. Runde. So kann man durch Selbstbetrug und grobe Unfairness auch seine Zielvorgaben erfüllen.

Fazit: Wir haben eine kleine, aber durchweg gut organisierte Veranstaltung besucht, die viel Leistung für wenig Geld bot (€ 25 inkl. T-Shirt). Das Startgeld hätte uns als Erststartern in Palermo lt. Ausschreibung eigentlich geschenkt werden sollen, aber bereits im Vorfeld war aufgrund auch sprachlicher Schwierigkeiten klar, daß dies ein aussichtsloses Unterfangen sein würde. Na ja, bei diesem Betrag durchaus zu verschmerzen. Wer also im beginnenden Winter, eigentlich schon nach Ablauf der Laufsaison, eine ordentliche Veranstaltung besuchen möchte, ist in Palermo gut aufgehoben.