Deutlich ruhiger wird es nach dem kurzen Abstieg von Oberdollendorf, denn fast unmerklich – aber sehr bald körperlich zu spüren – befinden wir uns im Aufstieg zum Petersberg, einem der ersten heftigen Gipfel. Der hiesige Bittweg erinnert an den noch eine Spur schärferen im Verlaufe des Drachenlaufs, mit dem uns die dortigen Veranstalter im Oktober quälen. Spätestens hier wechseln die meisten „Extremisten“ vom Laufen ins Gehen. Hier freue ich mich mit Stefan Vilvo, dem Organisator seines Monte-Sophia-Laufs bei Jülich ins Gespräch zu kommen. Dessen „lächerliche“ 350 Höhenmeter hatte ich seinerzeit völlig unterschätzt und heftiges Lehrgeld bezahlen müssen. Es tut ganz gut, wenn man sich an so etwas ab und zu wieder erinnert und nicht zu übermütig wird. Auf dem Petersberg-Plateau befindet sich das ehemalige Gästehaus der Bundesregierung, heute Steigenberger Hotel. Bedauerlicherweise kann man das Gebäude nicht auf der Rückseite umrunden, und so hat Peter Wirtz, wie er mir im Ziel erklärt, leider darauf verzichten müssen, uns den dortigen grandiosen Rheinblick zu gewähren. Extrem schade, aber unvermeidlich und - Entschädigung sollte reichlich folgen.
Zunächst leicht abfallend an der Mondscheinwiese vorbei, stürzt der Weg geradezu ins Tal, um sofort wieder langgezogen parallel zu meiner zweimal arbeitstäglich befahrenen Landstraße von Ittenbach nach Königswinter zu führen. Diese Straße wird überquert durch die – nomen est omen – Seufzerbrücke, die aber nur kurze Erholung bietet, denn auf der anderen Seite beginnt sofort der Aufstieg zum eher weniger bekannten Geisberg. Weniger bekannt bedeutet aber nicht weniger Qual und schon gar nicht weniger Aussicht, denn nach dem schweißtreibenden Aufstieg (hier muß wohl auch der letzte wirklich gehen) höre ich deutlich: „Geil, einfach geil, allein hierfür hat sich die Geschichte schon gelohnt“. Wer nicht zu schnell weitergehetzt, hat hier die Gelegenheit, Drachenfels, Löwenburg und vor allem das Ziel, die Rheininsel Grafenwerth, aus luftiger Höhe zu bestaunen.
Mittlerweile sind wir schon rund 15 km weit gekommen und ich bin vermutlich nicht der einzige, der sich fragt, welche Probleme bestimmte Naturschützer mit dieser Veranstaltung haben bzw. hatten. Natürlich war solch ein Lauf in einem ökologisch empfindlichen Gebiet behutsam zu planen. In Absprache mit den Genehmigungsinstanzen wurden etliche Auflagen zum Naturschutz erfüllt. So durften z. B. die Wege nicht verlassen werden und auch der Müll an den Verpflegungsstationen wurde immer wieder sofort eingesammelt. Aber sind es nicht gerade wir Läufer, die im Allgemeinen sehr auf die Landschaft achten, in der wir laufen? Ein Teil der Startgebühren geht übrigens für die Naturschutzaufgaben an den "Hausherren" des Siebengebirges, die Naturparkverwaltung VVS.
Lange kann ich darüber aber nicht nachdenken, denn steil geht es hinunter, am beliebten Ausflugslokal „Milchhäuschen“ vorbei bald auf einem breiten Waldweg Richtung Tal. Beim Löwenburglauf wird hier so richtig „heruntergebrettert“ und ich muß mich angesichts der noch vor mir liegenden Aufgaben selbst disziplinieren. Den schlammigen Hohlweg erspare ich mir und laufe auf dem rechten Rand zwar ein paar Extrameter, dafür aber trockenen Fußes. Heimvorteil. Wir durcheilen das Nachtigallental und werden für die Bergabmeter sofort wieder mit dem Aufstieg zum „höchsten Berg Hollands“, dem Drachenfels, bestraft. Glücklich oben angekommen, haben wir rund die Hälfte des Weges zurückgelegt. Nach dem Geisberg entschädigt uns der zweite tolle Rundumblick für den harten Aufstieg. Gut, daß die Ortsfremden durch einen aufmerksamen Streckenposten vor den nächsten Bergabmetern gewarnt werden. Richtig gefährlich nämlich sind die teils schlüpfrigen und engen Stufen, die uns wieder talwärts führen.
Vorbei am Waldfriedhof, auf dem unsere erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer, seine letzte Ruhestätte gefunden hat, nähern wir uns Rhöndorf. Manch einer wird beim Treppablaufen das Ulanendenkmal verpasst haben, das sich im rechten Hintergrund der Laufstrecke befindet. Kein Gedanke an ebenes Laufen. Extrem geht es direkt wieder hinauf zur Löwenburg, der letzten großen Höhe. Auch dieser Aufstieg fordert wieder alles ab, unterschiedlichste Untergründe sind zu bewältigen. Kurz bevor die Löwenburg (leider nur) umrundet wird, halte ich Ausschau nach dem Drachen. Da steht nämlich beim Drachenlauf immer ein als Drache verkleideter Mensch am Wegweiser und feuert die Läuferinnen und Läufer an. Scheinbar befindet er sich noch im Winterschlaf oder ihm ist bei den derzeitigen Benzinpreisen das Feuerspucken vergangen.
Aber auch nach höchsten Punkten geht es wieder abwärts und so stürzen wir gleichsam ins Schmelztal, umrunden ein Staubecken und schon hat uns der Wald wieder verschluckt. Und belohnt uns mit einem erneuten knackigen Anstieg, noch dazu auf teilweise sehr schmalem Pfad, wo ein Überholen kaum möglich ist. Aber es trottet alles brav hintereinander, bei vielen macht sich Kraftverlust doch schon deutlich bemerkbar. Nach der Erklimmung des Himmerichs, einem keltischen Ringwall, auf breitem Waldweg, schickt uns der dort sitzende Fotograf bei km 29 steil nach rechts bergab. Und wie steil! Hier beglückwünsche ich mich nicht zum ersten mal zu meiner Schuhwahl. Wer auf normalen Straßentretern unterwegs ist, wird den auf gesamter Breite extrem schlammigen Forstweg herzlich verfluchen. Leichtfüßig wie eine Gazelle hüpfe ich den Berg hinunter oder wie heißt noch mal das Tier mit dem Rüssel? Na ja, zumindest das Schuhprofil stimmt.
Langsam kommen wir wieder in bewohnte Gebiete und sind ziemlich flott talwärts unterwegs. Wirklich zusetzen kann ich nicht mehr, belüge mich aber selbst indem ich mir einrede, daß ich mich für die Mittelrhein-Marathon in 14 Tagen schone. Wir durchlaufen noch einige Wohngebiete und ahnen endlich die Insel Grafenwerth, von der uns aber noch zwei zu diesem Zeitpunkt extrem unglücklich positionierte Brücken trennen (da muß man nämlich dummerweise letzte völlig überflüssige Höhenmeter laufen...), umrunden das Schwimmbad und hören zu unserer Freude den Zielmoderator. Einer ruft noch: „Lächeln, da vorne kommt das Fernsehen!“ und erleichtert laufe ich durchs Ziel. Die Ersten, allen voran Hermann Ulrich, stehen schon geduscht, geschniegelt und gestriegelt im lockeren Gespräch vertieft. Da werden einem die Klassenunterschiede sehr bewußt (Hermann hat zeitgleich mit Daniel Exner in 2:33:39 Std. gewonnen). Aber die Jungs trainieren ja auch ein Vielfaches meines Pensums. Mit meinen 3:37:06 Std. bin ich erstaunlich nahe an meiner vorsichtig optimistischen Prognose von 3:40 und noch in der ersten Hälfte der Ergebnisliste. Anscheinend hat es überproportional viele Ausfälle gegeben, denn von den knapp 400 Gestarteten kommen nur 344 ins Ziel.
|