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26. Silversterlauf Trier am 31.12.2015

Im deutschen Sao Paulo

Lange, sehr lange schon liebäugele ich mit einer Teilnahme am legendären Silvesterlauf in der ältesten Stadt Deutschlands. Auf einem zuschauerfreundlichen 1 km-Rundkurs durch die zentrale Altstadt absolvieren die Frauen 5 Runden, die Männer deren acht. Allerdings laufen die jeweilige Elite und das gewöhnliche Fußvolk in getrennten Rennen. Zum Elitefeld der Frauen brauchst Du eine aktuelle 10 km-Zeit unter 45 min bzw. 5 km unter 22 min, die Männer eine Zehnerzeit unter 36 min bzw. eine letztjährige sub 28 min. Jetzt machen wir endlich mal Nägel mit köpfen, mieten uns logistisch optimal für zwei Tage im Park Plaza-Hotel, 200 m zum Ort des Geschehens, ein und verbinden das Ganze mit einem netten anschließenden Silvestermenü.

Den Vortag nutzen wir zur Stadtbesichtigung und sind begeistert von Dom, Porta Nigra, Hauptmarkt & Co. Die Startnummern gibt’s in der wenige hundert Meter entfernten Sporthalle eines Gymnasiums, es schließt sich ein weiterer kurzer Einkaufsbummel an, dann gilt es die Füße hochzulegen und sich körperlich und mental auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Elke, seit etlichen Wochen leicht verletzt und mit deutlichem Trainingsrückstand, macht sich gegenüber sonst noch mehr in die Hose und will keinesfalls Letzte werden.
 

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Um kurz vor 15 Uhr stehen wir an der Strecke parat, an der lt. Veranstalter bis zu 20.000 Fans erwartet werden. Aus unserer Sicht sind unter den Topathleten insbesondere Sarah Kistner (Berglauf-Europameisterin und Siegerin unseres letztjährigen Malberglaufs), Top-Marathonia Katharina Heinig (Tochter von Kathrin Dörre-Heinig) und bei den Männern der ehemalige LG Rhein-Wiedler Simon Stützel und der starke Marathoni Julian Flügel interessant. Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, mit welchem Tempo die Starken an einem vorbeirauschen. Und die Figürchen der einen oder anderen sind auch nichtg unbedingt zu verachten. Während des Männerlaufs steht neben uns Katharina Heinig und ist genauso nett und mitteilsam wie vor drei Jahren beim Marathon in Hannover.

Zwischen Elkes voraussichtlicher Zielankunft und meinem Start liegen nur rund zehn Minuten, daher verabreden wir uns am Bierstand beim Athletenausgang, um Kamera und Jacke zu übergeben. Wer nicht erscheint, ist meine Gattin, sie kommt nicht durch. In meiner Not drücke ich beides dem Mädel am Bierstand in die Hand (ich werde beides wiederbekommen) und versuche, noch irgendwo in die prall gefüllte Startaufstellung zu gelangen, was mir nur ziemlich hinten gelingt. Na prima. Schon geht’s los, zumindest vorne. Bis ich mich bewegen kann, vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Macht ja bei Nettozeitnahme nichts, ruhig Blut also. An der Startlinie drücke ich die Uhr ab.

Nichts geht nach vorne, gar nichts, ich bin vollständig eingekreist und kann nur mitschwimmen. Das habe ich mir deutlich anders vorgestellt, die 4:30 min. auf der ersten Runde kann ich vergessen. Die ganze Fleischstraße, links in die Nagelstraße und wieder links in die Brotstraße - keine Chance vorbeizukommen.

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Wieder am Start habe ich gegenüber der eigenen Zielvorgabe fast eine Minute verloren. Auf der zweiten Runde verbessert sich die Situation nur unwesentlich, immer wieder umkurve ich Kontrahenten und muß aufpassen, selber nicht umgerannt zu werden. Fatal erinnert mich die Situation an den Christkindellauf in Wiedenbrück, wo sich 1.100 Läufer auf der 2.500 m-Runde zu verteilen versuchten, schwierig genug. Hier sind es 700 Läufer auf 1.000 m. Und ich ärgere mich doch etwas über die Deppen, die sich vorne hinstellen, wo sie nichts verloren haben: Die Uralten, die Dicken, die ganz Langsamen. Aber, ich muß mich selber zur Ordnung rufen, das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkslauf und daher kaum zu vermeiden.

Erst auf dem Rückweg der dritten Runde habe ich endlich so viel Freiraum, daß ich einigermaßen frei laufen kann, und schon nähert sich der km-Schnitt den erwünschten viereinhalb Minuten an. Ab der vierten Runde geht es mir dann gut, ich kann mich endlich in Ruhe umschauen und die schöne, weihnachtlich beleuchtete Strecke genießen. Schön ist es, die Geschwindigkeit kann ich ohne größere Anstrengung halten und die “Hotspots” mit Musik, Moderation und Samba-Gruppe bewußt aufnehmen. Die Lichtverhältnisse, die Trillerpfeifen - wunderbar! Nicht umsonst trägt dieser Lauf als “deutsches Sao Paulo” diesen inoffiziellen Titel. Obwohl die angekündigten 20.000 Zuschauer maßlos übertrieben sind, ein Viertel, max. ein Drittel davon kommt der Wahrheit wohl näher. Alles danach ist gut, jede Runde gefällt mir besser als die vorhergehende. Mein “Glück auf!” an die laufenden Bergwerkler wird lautstark erwiedert, das macht Freude, natürlich gibt es auch sonst viel zu sehen. Am Ende der achten, letzten Runde kann ich nochmals aufdrehen und laufe zufrieden ins Ziel.

In Anbetracht der Umstände sind die handgestoppten 37:30 min für 8,13 km (die zusätzlichen Meter durchs Slalomlaufen bedingt) gar nicht so schlecht, zumal ich mich nicht völlig fertig fühle und durchaus noch hätte weiterlaufen können. Richtig ärgere ich mich dann doch nochmal beim Erscheinen der Ergebnisliste am Folgetag (!), denn die wirft eine 38:02 aus. Hä? Bruttozeit, ganz toll! Wofür eigentlich nutzt man elektronische Zeitnahme, wenn man keine Nettozeitnahme anbietet? Na ja, dafür könnte ich mir eh nichts kaufen, aber etwas doof ist es doch. Trotzdem hat es viel Spaß gemacht und mir gezeigt, daß ich trotz fehlenden Tempotrainings noch einigermaßen auf die Tube drücken kann.
 

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