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Henry und Joseph in Waldbreitbach 2.0


“So many things achieved, such a lot of fun! It is, as if I had won a Gold Medal!”€ Begeistert bricht es aus Henry heraus, als wir uns mit Joseph auf unserem letzten gemeinsamen Trainingslauf befinden. “€žThis has been one of the best weeks in our lives”, wird er später noch hinzufügen. Da muß ich erst einmal schlucken.

Nachdem beide mit lieben CBM-Mitarbeitern bereits zwei Wochen in Posen und Dresden verbracht haben, treffen wir uns samstags in Hannover. Die Qualifikation für den paralympischen Marathonlauf steht an. Bei optimalem Wetter liefern beide in ihrem ersten Marathon seit Henrys schwerer Handverletzung vor vier Jahren mit 2:47:16 Std. eine gute Vorstellung ab und werden in London neben den fast schon obligatorischen 5.000 m auch über die 42,195 km antreten (7. und 9. September 2012). Nach dem Lauf dürfen Elke und ich beide “übernehmen” und mit ihnen nach Waldbreitbach fahren. Eine knappe Woche werde ich für beide alleinverantwortlich sein, ein wenig Fracksausen ob der Verantwortung kann ich im Stillen nicht verleugnen. Aber es sollten fünf Tage (plus An- und Abreise) der Superlative für alle Beteiligten werden.
 

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Beste Voraussetzungen hierfür schuf bereits das Angebot des Waldbreitbacher Hoteliers Jürgen Grünwald, beide die komplette Woche bei sich kostenlos zu beherbergen. Nach einer erholsamen Physiotherapie in der Praxis Michael Pfeifer in Roßbach stand am ersten Tag auf Einladung der Verbandsgemeinde der Eintrag ins Goldene Buch an.

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Wanyoike nutzt diese, wie auch alle anderen Gelegenheiten, ihm bisher unbekannte Personen in Erstaunen zu versetzen und mit seiner ganz besonderen Art für sich zu gewinnen. Noch am Vormittag wurden beide von 137 Grundschulkindern zum „Spendenlauf für Kenia“ im Rahmen der „Olympiade der Herzen“ erwartet, deren Erlös Wanyoikes Stiftung versprochen war. Strahlende Gesichter, weiße wie schwarze, waren das Resultat; der Abschied fiel beiden nach mehr als zwei Stunden sichtlich schwer und begeisterte Schüler, Lehrer und Eltern blieben zurück.

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Ganz in ihrem Element sind beide am Nachmittag auf einem Waldbreitbacher Bauernhof, der Kälberzucht und Milchwirtschaft betreibt. Intensiv ist der gegenseitige Austausch und wechselseitige Respekt für die jeweilige Arbeit mit den geliebten Rindviechern. Selbstverständlich kann Henry auch mehrfach “Hand anlegen” und so seine Erfahrung unter Beweis stellen .In der Waldbreitbacher Töpferei geht es anschließend “rund”: An der Töpferscheibe dürfen beide ihr Talent unter Beweis stellen und unter fachkundiger Anleitung durchaus ansehnliche Schalen produzieren. Bei ihrem nächsten Besuch werden sie diese, fertig gebrannt und lasiert, mit nach Kikuyu nehmen können. Elke bereitet ein opulentes Abendessen, nach dem beide erschöpft in den Schlaf der Gerechten fallen. Doch das sollte erst der Auftakt gewesen sein.

Früh am nächsten Morgen geht es zunächst nach Königstein im Taunus, wo Wolfgang Jochum, guter Freund und Pressesprecher der CBM, von seinem schweren Schlaganfall rehabilitiert wird. Als Henry zum Abschied ein langes, bewegendes Gebet für seine Genesung spricht, werden alle Augen feucht. In Fellbach, einer 45.000 Einwohnerstadt am Rande Stuttgarts, werden wir mittags von Thorsten Hintsch, einem neuen Henry-Fan und Freund von mir, bereits erwartet. Er wird die beiden nächsten Tage organisieren. Der Oberbürgermeister, Christoph Palm, der CBM seit Jahrzehnten verbunden, hatte ins Rathaus zu einem Empfang eingeladen, an dem viele hochrangige Bürger teilnehmen. Nicht nur die den beiden entgegengebrachte Herzlichkeit lassen Henrys Augen strahlen, auch die Sach- und großzügigen Geldgeschenke sind hochwillkommen. Offiziell wird es dann beim Eintrag ins Goldene Buch, den sie mit routinierter Bravour meistern. Und schon wieder sind neue Bewunderer gewonnen, die zu gegebener Zeit auf mehr hoffen lassen. Ursula, die Freundin von Thorstens Frau fährt uns in einen Pferdestall, wo Henry die Tiere füttern darf. Ursula steht auch fast die ganze Zeit selbstlos als Dolmetscherin zur Verfügung. Am Abend warten in der Gaststätte des VfB Stuttgart interessierte, aber leider nur wenige Teilnehmer auf uns, wo ich mit zunächst gewaltigem Herzklopfen versuche, in Bengts großen Fußstapfen zu wandeln. Doch die Mischung aus Film, Fotos, Lesung und Diskussion ist ein voller Erfolg, erst nach dreieinhalb Stunden dürfen wir erschöpft in die (durch die Stadt Fellbach gesponserten) Betten fallen.

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Nach einem vormittäglichem Lauf am dritten Tag, in dessen Rahmen zwei Zeitungsinterviews mit Fotoshooting in den Weinbergen durchgeführt werden, folgt ein echter Höhepunkt mit weitreichenden Folgen: Der Besuch im Esslinger Haus des Blindenhandwerks demonstriert Henry und Joseph unter anderem, wie eine professionelle Bürsten- und Besenproduktion aufgezogen wird. Hier ist Henry kaum noch wegzubekommen und spätestens nach einem selbsterstellten Musterstück durch unser Multitalent ist Thorsten und mir klar: Das ziehen wir durch. Nämlich den Aufbau einer Bürsten- und Besenproduktion am Technical Institute of the Blind in Machakos. Und schon wieder zeigt sich, wie unersetzlich persönliche Netzwerke sind, wenn man etwas erreichen will. Die dazu benötigten einfachen Maschinen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und nicht mehr zu beschaffen, Zeichnungen existieren nicht, die Ausbildung der/s Ausbilder(s) muß in Deutschland erfolgen - jeder hat eine Idee, wie er helfen kann und so wird ein Rädchen ins andere greifen. Wir sind wild entschlossen, voller Enthusiasmus, werden hartnäckig sein und allen zu erwartenden Schwierigkeiten zum Trotz unser Ziel erreichen. Ganz nebenbei werden noch ein drittes Zeitungs-, sowie ein Radio- und Fernsehinterview gegeben.

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Wieder nach Waldbreitbach zurückgekehrt, bleibt uns kaum Luft zum Atmen. Aber zunächst freuen wir uns, Henry am vierten Tag zu Ehren seines 38. Geburtstags ein schönes Frühstück auszurichten. Nach guter deutscher Tradition lebt der Delinquent dreimal hoch und Henry genießt dies in seinem Stuhl sichtlich und freut sich über seinen neuen Rucksack. Im Anschluß daran besuchen wir die Landesblindenschule in Neuwied. Die Einrichtungen dieser hochmodernen Anstalt, auch für Mehrfachbehinderte, begeistert beide und läßt sie gleichzeitig auch nachdenklich werden. “Da liegen wir in Kenia ja Jahrzehnte hinterher”, seufzt Joseph. Aber viele Einzelideen lassen sich vielleicht auch mit einfachen Mitteln realisieren. Die Bürsten- und Pinselmacher-Lehrwerkstatt bringt beide ins Schwärmen. Keine Frage, das muß nach Machakos. Wieder lassen wir beeindruckte Schüler und Lehrer zurück. Und sind es selber.
 

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Auf dem Rückweg entdeckt Joseph an der Wied ein funktionierendes Mühlrad, das sofort eingehend inspiziert werden muß. Er sieht sich ein solches Teil schon am Mt. Kenya, wo es das ganze Jahr über genügend Wasser gibt, errichten. In der Apotheke, die zu Weihnachten eine erhebliche Spende geleistet hatte, besteht Joseph auf einem weißen Kittel für das Gruppenfoto. Vorher jedoch beweist “Dr.” Kibunja bei meiner Beratung ungeahnte pharmazeutische Kenntnisse. Dieser Kasper bringt uns aber auch ständig und überall zum Lachen! In unserer Lieblingspizzeria - kein Ugali! - klingt Henrys Geburtstag im Kreise seiner derzeitigen Ersatzfamilie fröhlich aus.

Der Beginn des fünften und letzten Tages ist besonders für Joseph wichtig. Beim gemeinsamen Frühstück treffen wir uns mit Jupp, einem bald pensionierten Polizisten, der sich bereiterklärt hat, ihn als Pensionär in Kikuyu zum Hundeführer auszubilden, um Joseph nach der aktiven Laufzeit eine neue Geldquelle zu erschließen. Er ist bemüht, keine falschen Erwartungen  aufkommen zu lassen und schildert die zu erwartenden Schwierigkeiten in aller Deutlichkeit. Dennoch ist Joseph guten Mutes und voller Vorfreude.
Danach sind wir noch einmal in der Grundschule zur symbolischen Scheckübergabe der Spende aus dem Lauf bei der “Olympiade der Herzen”. Wir sind zunächst hocherfreut, als Henry aus 137 Kinderkehlen ein “Happy Birthday” gesungen wird und vollkommen sprachlos, als der Scheck mit der Summe von sage und schreibe 6.000 € gezeigt wir Damit können ohne Zweifel die Restarbeiten an Theresias House of Hope bezahlt werden. Und wieder strahlen die Jungs über alle Backen.
Beim anschließenden Besuch der Fertighausfirma Stüber-Haus in Siebenmorgen informieren sich beide über die hochinteressante Produktion und energieeffizientes Bauen bis hin zum Passivhaus mit lediglich 400 € Energiekosten pro Jahr. Selbstverständlich greift Joseph in die laufende Produktion ein und stellt sein Können bei der Arbeit mit einem Druckluftnagler unter Beweis.

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Wieder zuhause beim Kaffee lernen sie einen Teil unserer Verwandtschaft kennen und begrüßen u. a. Elkes topfite 86jährige Tante. Joseph und sie sind hocherfreut festzustellen, daß sie und Josephs Tochter den gleichen Vornamen (Elisabeth) tragen. Dann geht’s ans Packen, beide plündern meine für die Läufer aus Kikuyu gesammelten Laufschuhe und -bekleidung, fast 40 kg gehen so quasi umsonst nach Kenia. Bei der abschließenden Trainingseinheit über Stock und Stein beten wir drei noch kurz gemeinsam im winzigen Luh-Kapellchen, bevor ein zweiter, ähnlich erfolgreicher Vortrag in der Grundschule diese ereignisreiche Woche beschließt. Georgina, gebürtige Kenianerin aus unserem Nachbardorf, ist außer sich vor Freude über die Landsleute und übersetzt in Kisuaheli.
 

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Samstagfrüh um drei Uhr fahren unser Sohn Jan Philipp und ich beide an den Frankfurter Flughafen, wo sie dank Vorzugsbehandlung vier Kisten á knapp 20 kg sowie je zwei Stücke Handgepäck aufgeben können, insgesamt fast 100 (!) kg Gewicht. Den Abschied gestalten wir sicherheitshalber schnell, um die Emotionen im Griff zu behalten. O je, der Drache für Elisabeth ist zuhause liegengeblieben. “Macht nichts”, sagt Joseph, “so haben wir einen guten Grund, bald wiederzukommen!” Lieber Gott, ich danke Dir für diese außergewönlichen Freunde.

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