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10. Norderney-Marathon am 12.09.2010
 

Nur 90 Sekunden bis zum Start

Ausgebucht. Unterkünfte gibt es keine mehr, teilt mir die Norderneyer Zimmervermittlung vor Wochen telefonisch lapidar und leider scheinbar uninteressiert mit. Ich könnte mich ja später noch mal melden. Haus des Bundeswehr-Sozialwerks? Voll. Jugendherbergen? Fehlanzeige. Ein Anruf beim hilfsbereiten Veranstalter Helge Plavenieks bringt zwar jede Menge Verständnis, aber auch er kann nicht zaubern. Den angebotenen Sporthallen-Schlafplatz kann ich meiner Frau nicht antun und auch mich begeistert die Aussicht darauf nicht gerade. Fakt ist laut Helge: Die Norderneyer sind nicht bereit, für uns Läufer ein Zimmerkontingent zu reservieren. Selbst für den Moderator hat er die Unterkunft anderthalb Jahre im voraus buchen müssen. Und das als gebürtiger Insulaner.

Da muß ich schon erst einmal schlucken, lote dann aber einige Alternativen, auch auf dem Festland, aus. Jedenfalls ist mir jetzt schon klar – bevor ich auch nur den geringsten persönlichen Eindruck von der Veranstaltung gewonnen habe - warum der Lauf nur so wenige Teilnehmer anlockt. Genauer gesagt: Anlocken kann, denn für das Übernachtungsproblem kann der Veranstalter nun wirklich nichts. Helgoland ist diesbezüglich eine ganz andere Nummer, da hängt sich die ganze Insel rein.

Da selbst der Geheimtip der netten Dame von der Jugendherberge nicht funktioniert („Rufen Sie mal meine Freundin an, die könnte helfen“), entschließen wir uns notgedrungen, am Festland zu bleiben. Damit hat sich auch die Frage des Übersetzens mit der Fähre geklärt, denn wir brauchen fürs Auto nichts zu buchen. Das passiert dann nur am Sonntag und zu Fuß, finanziell profitiert die Insel von unserem Besuch dann eben nicht. So kommen wir nett in Dornum unter und lernen Ostfriesland näher kennen, das sich als gar nicht so ostfriesisch entpuppt, wie immer gerne gespottet wird. Mit Burg und Schloß sowie etlichen netten Friesenhäusern hat es zwei neue Fans gefunden. Auch Jever, Esens und der berühmte Otto-Leuchtturm in Pilsum werden besucht.

Am Laufmorgen haben wir lt. Fahrplan die Wahl zwischen den Fähren um 6.15 und 8.45 Uhr. In Anbetracht der Startzeit von 10 Uhr ist 6.15 Uhr definitiv zu früh, aber 8.45 Uhr sehr knapp. Beim Anlanden um 9.40 Uhr gibt es eine kleine Verzögerung und wir eilen zu Fuß den guten Kilometer zum höchst attraktiven Kurplatz, dem Ort des Geschehens. In der festen Annahme, daß sich der Start notwendigerweise etwas verzögern wird, treffen wir exakt 90 Sekunden vor 10 Uhr ein. 90 Sekunden bleiben also für den Empfang und Befestigung der Startnummer sowie das Einschnüren der beiden von mir erstmals genutzten Einwegchips in die Schuhe. Keine Chance. Wenn nicht, ja wenn wir nicht in weiser Vorahnung schon gestern Nachmittag der Insel einen ersten Besuch abgestattet und bereits da die Startunterlagen empfangen hätten und somit glücklicherweise fix und fertig zum Start angereist wären.

Norderney 035

Punkt 10 Uhr geht es also los, ich kann nur noch ein schnelles Foto schießen, meiner Frau für ihren ersten 12 km-Lauf ein letztes Mal Mut zusprechen und muß sogar die volle Blase erst einmal mitnehmen. Jede Menge Leute vor dem ehrwürdigen Conversationshaus und auf der davor liegenden Rasenfläche verabschieden uns und schon sind wir auf der Piste. Solch einen Blitzstart habe ich auch noch nie hingelegt.

Der zweimal zu durchlaufende 21,1 km-Rundkurs geht zunächst im Südteil von West nach Ost, kehrt nach 9 km um und verläuft im Norden 12 km mit einigen Schlenkern zurück. An km 9 befinden sich der Start für den 12 km-Lauf und eine Wechselstelle für den Staffelmarathon. Einen Halbmarathon gibt es natürlich auch; das Verhältnis zwischen Voll- und Halbstrecke beträgt wie üblich etwa 1:5.

Die ersten drei km führen durch den einzigen Ort der Insel, teilweise direkt auf schönen Park-/Waldwegen. Die Meute, obwohl keine 50 Teilnehmer/innen stark, zieht sich direkt weit auseinander. Der Seriensieger, Frank Themsen, der erst in der letztjährigen neunten Auflage das erste Mal einen Stärkeren ziehen lassen mußte, zeigt direkt, wo es heute an der Spitze langgehen wird und ist auch am Ende wieder ganz vorne. Insgesamt zeigt die letztjährige Ergebnisliste, daß von einem im Schnitt eher langsameren Feld auszugehen ist und ich wundere mich über das gefühlt stramme Anfangstempo. Ich lasse mich aber nicht lumpen und ziehe mit.

Die Strecke ist mit blauen Pfeilen idiotensicher ausgewiesen. Als vermutlich einziger Depp schaffe ich es trotzdem einmal, vom rechten Pfad abzuweichen, werde aber sofort von einem aufmerksamen Ordner wieder auf den Pfad der Tugend zurückgeführt. Die aufgemalte „3“ ist die erste Km-Markierung, die mir auffällt und eine Laufzeit von unter 15 min. zeigt, daß mich mein Gefühl nicht getäuscht hatte. Ich nehme etwas Tempo heraus und hole an einer ruhigen Ecke das vor dem Start Versäumte ausgiebig nach. Damit paßt die Zeit wieder.

Der vierte km führt am Campingplatz vorbei über eine Wiese, ideales Barfußlaufterrain. Seit ich ab und zu mit meinen Zehenschuhen unterwegs bin, habe ich einen besonderen Blick dafür und bedauere, daß ich das jetzt nicht nutzen kann. Ab km 5 geht es erstmals auf den Deich. Wir haben ablandigen Wind, der uns zunächst entgegenkommt. Aber er ist harmlos, die Insulaner würden ihn vermutlich gar nicht bemerken. Nach wenigen hundert Metern kommt er von der Seite und ist noch harmloser. Hier muß es im vergangenen Jahr ganz anders gewesen sein, da gab es kilometerlang strammen Gegenwind. Überhaupt ist das Wetter zunächst ganz gut: es hat um die 15° und zwischendurch läßt sich sogar die Sonne mal ganz kurz blicken.

Auf dem langen, geraden Deichabschnitt zwischen ca. km 6 und 9, der an den Salzwiesen vorbeiführt, vernehme ich über eine lange Zeit Schritte unmittelbar hinter mir. Noch während ich mir überlege, ob mir das auf die Dauer auf den Geist geht, schließt der Läufer auf. Der waschechte Ostfriese Hartmut mit ortstypisch rollendem „r“ entpuppt sich schnell als nette Laufbegleitung und gemeinsam quatschend bleiben wir zunächst zusammen. Er hat bei seinen insgesamt acht bisherigen Marathons hier eine 4:00 und 4:03 stehen und will endlich die 4 Stunden knacken. Wir laufen in Richtung 3:45 und ich befürchte, daß er zu schnell ist. Er aber läßt sich nicht beirren und hält das Tempo vergleichsweise hoch.

Bei km 9 ist die zweite von 5 Verpflegungsstellen, die mit Wasser, Iso, später Cola, Äpfeln und Bananen absolut ausreichend bestückt sind. Sehr nette freiwillige Helfer (v.a. –innen!) machen jeden kurzen Stop zu einem Ereignis. Auf dem Rückweg kommen wir zunächst recht nahe am Norderneyer Wahrzeichen, dem Leuchtturm, vorbei. An dessen Südseite liegt der kleine Inselflughafen, wo wir im Vorbeilaufen einige Starts bzw. Landungen erleben können.

Immer wieder lese ich auf dem Pflaster die Anfeuerung für „Papa“. Das ist eine prima Idee, denn damit können sich wohl die meisten Männer identifizieren und so für sich beanspruchen. Daneben laden ein Planetenlehr- sowie ein Naturkundepfad unterwegs zur Weiterbildung ein.

Den zweiten Streckenabschnitt empfinde ich als (noch) attraktiver. Es wechseln sich Bebauung und kleine Naturwege, teilweise unter Bäumen, ab, bevor es auf den für mich schönsten Abschnitt geht: durch die Dünen. Schmale, gewundene Pfade, immer mit ein paar Höhenmetern gespickt, führen durch ein einmalige Landschaft, die man auf dem Festland so wohl nicht erleben kann. Das ist wirklich etwas fürs Auge. Straßenüberquerungen werden dankenswerterweise allerorten von der Reservistenkameradschaft gesichert.
 

Beim 14. Km sind wir wieder in der Stadt, d.h. laufen zwischen wohl überwiegend Ferienhäusern und dem Deich entlang. Eingangs hat der ausrichtende TuS Norderney einen Strandkorb aufgestellt und Opa Hein läutet eine kleine Schiffsglocke. Ein Schaulaufen gibt es dann ab km 18 auf der Strandpromenade, wo nicht mit Beifall gegeizt wird. Hartmuts bessere Hälfte Sonja („Hallo, Schatz!“) knipst uns eingangs. Ein alter Mann auf Krücken hat die Hände nicht frei und „klatscht“ mit seinen Gehhilfen. Klar, daß er sofort abgelichtet wird. Spaziergänger, Surfer, Strandkörbe - Inselidylle pur bei allerdings steigerungsfähigem Wetter. Anstrengend empfinde ich das Laufen auf der schiefen Promenade, mein linkes Bein müßte zum Ausgleich ein paar Zentimeter kürzer sein.

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Der 21. km führt dann wieder in die Innenstadt und auch bald zum Veranstaltungsgelände. Hartmut und ich werden namentlich begrüßt, durchqueren erstmals den Zielbogen, das Jubelvolk ehrt uns und schon sind wir auf der zweiten Runde. Hartmut ist verflixt schnell und nicht zum ersten Mal weise ich ihn auf km-Zeiten von wenig über 5 min. hin. Nach etwa weiteren 10 min. lasse ihn dann langsam ziehen. An der gleichen Stelle wie auf der ersten Runde reduziere ich nochmals mein Gewicht ein wenig und danach ist er weit voraus. So wirklich zieht er aber nicht davon und bleibt in meinem Blickwinkel.

Mitten auf dem Deichweg der Hinrunde beginnt der Motor bei der Umstellung auf überwiegende Fettverbrennung zu stottern. Nicht wirklich überraschend. 10 Wochen keinen Marathon gelaufen (wie habe ich das eigentlich ausgehalten?), die Trainingsumfänge stimmten zwar, aber mehr als einen 30er als Alibi hat es allergiebedingt (gegen lange Läufe ohne Startnummer) nicht gegeben. Ein wenig später eingenommenes Gel entfaltet jedoch offensichtlich die gewünschte Wirkung.

Inzwischen wird es ganz einsam. Vor mir passiert nichts Kriegsentscheidendes, hinter mir auch nicht, zumindest läuft niemand auf mich auf. Und so spule ich km für km ab. Und komme tatsächlich so gegen Anfang der 30er km Hartmut wieder näher. Aha, anfangs zu ehrgeizig gewesen, wußte ich’s doch. Vor ihm läuft ein weiterer Kamerad, beide überhole ich gleichzeitig. „Ah, Du bist wieder da!“ „Gehirn ausschalten und dranhängen!“. Das aber klappt nicht so, wie gewollt. Bei mir geht es wieder gut und so starte ich erneut, diesmal einsam, in die Dünen.

Wettermäßig war es bisher prima gewesen, aber nach 35 km öffnen sich schlagartig die Schleusen des Himmels. Innerhalb weniger Minuten steht das Wasser teilweise knöcheltief bzw. –hoch auf den Wegen. An den ohnehin schon müden Beinen hängen plötzlich keine Lightweight-Trainer mehr, sondern kiloschwerer Ballast. Ruckzuck ist kein Mensch mehr auf den Wegen und Straßen; wer kann, der flüchtet. Trotz der Anstrengung ist es irgendwie schon witzig. Am Ende werde ich blitzsaubere Schuhe haben, das gab’s auch noch nie.

In der Zwischenzeit hat mein Lieschen, von mir natürlich unbemerkt, das Ziel erreicht. Auch sie ist in den schweren Regen geraten und klatschnaß. Mit grimmigem Gesichtausdruck werden die letzten Meter genommen, wie auf dem Foto zu sehen ist. Das liegt aber weniger an der Laufzeit, sondern an den Unbilden der Witterung. Mit ihren 1:30 Std. kann sie, auch wenn sie das 12 km-Feld abschließt, zufrieden sein. Schließlich ist sie noch nie weiter als 10 km bzw. 1:12 Std. gelaufen. Glückwunsch!

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Einigen Mitstreitern schlägt das Wetter wohl auf das Gemüt, jedenfalls kann ich noch ein paar einsammeln und so etwas motiviert ja. Nach gut 3:46 Std. bin ich dann im Ziel und bei guter Verpflegung mit Elke und Hartmuts Sonja schnell im Gespräch. Wo denn der Hartmut sei? Bis wir das geklärt haben, ist auch er wenige Minuten später da, hatte sich gefangen und seine bisherige Bestzeit um fast 10 Minuten unterboten. Prima!

Im Badehaus kann man hervorragend warm und gepflegt duschen, da kehren die Lebensgeister doch direkt wieder. Ein vorsichtiger Blick in die schnell verfügbare vorläufige Teil-Ergebnisliste zeigt: der Herr Bernath ist Zweiter der AK M 50/55 geworden, ja Wahnsinn! Bei stolzen 39 Männern im Ziel... Nach meinem internationalen Durchbruch mit einem dritten AK-Platz während des Urlaubs beim „legendären“ Innsbrucker 6,8 km-Lauf rund um den Hofgarten (62 Teilnehmer(innen)) ist das bereits der zweite Treppchen- bzw. Stockerlplatz in kurzer Zeit. Jetzt fehlt mir nur noch ein Veranstalter, der pro AK nur einen Teilnehmer laufen läßt und dann klappt das auch noch mit einem AK-Sieg!


In Anbetracht der bevorstehenden sechsstündigen Rückfahrt lasse ich (zugegeben schweren Herzens) die Siegerehrung sausen, nehme die nächste Fähre, die wir so gerade noch bekommen, und verlasse diese gut organisierte Veranstaltung.

Zwei Dinge gibt es zu verbessern: Die Unterkunftsproblematik hatte ich eingangs geschildert. Das ist schade, aber man muß wissen, was man will, vor allem bei der Inselverwaltung. Das zweite ist die Startzeit, diese sollte um eine halbe Stunde auf 10.30 Uhr verlegt werden. Das Problem hierbei ist die 8.45 Uhr-Fähre. Daß entgegen dem Fahrplan auch sonntags um 7.30 doch noch eine fuhr wußte nur der, der die örtliche Zeitung gelesen hatte. Im Netz stand nichts.
 

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Das aber schmälert in keiner Weise den guten Gesamteindruck, den ich von dieser Veranstaltung mitnehme. Wenn die Übernachtungsfrage positiv im Sinne der Läufer entschieden werden kann, steht einem deutlichen Teilnehmerzuwachs nichts im Wege.

Diesen Bericht gibt es mit vielen Bildern auch auf marathon4you.de!

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Streckenbeschreibung:
Durchaus abwechslungsreicher und attraktiver 21,1 km-Rundkurs mit einigen (wenigen) überraschenden Höhenmetern.

Rahmenprogramm:
Ausgabe der Startunterlagen auf der Wiese am Kurplatz am Vortag von 16-18 Uhr, am Lauftag ab 8.30 Uhr. Verkaufsstand eines Sponsors.

Weitere Veranstaltungen:
Staffelmarathon. Halbmarathon, 12 km-Lauf, 21,1 km Walking, Kinderlauf.

Auszeichnung:
Schönes Funktionshemd, Medaille, Urkunde über das Netz. Vergünstigter Eintritt in das Badehaus und vergünstigte Fahrkarte für die Fähre.

Logistik:
Kürzeste Wege am Kurplatz.

Verpflegung:
5 Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso, später Cola, Äpfeln und Bananen – und lecker Mädchen!

Zuschauer:
Gute Stimmung am Start/Ziel, vereinzelter Beifall unterwegs.