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28. Baden-Marathon am 19.09.2010
 

Badischer Marathon – Von der Sonne verwöhnt

Baden, Karlsruhe – bisher weiße Flecken auf meiner Landkarte. Klar, beim Bund haben wir sie gerne gequält und die Kameraden aus Baden „Gelbfüßler“ genannt, was die dann mit der altbekannten Trennung zwischen Badischen und Unsym-Badischen konterten. Mein einziger aktueller Berührungspunkt zu Karlsruhe steht im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. Wie das jetzt?

2006 hatte ich das Glück, dienstlich dort zu sein und aufgrund des selbstverständlich rein zufälligen zeitlichen Zusammentreffens den Marine Corps Marathon laufen zu können. Im Zuge meiner Recherchen zum damaligen Laufbericht stieß ich dann auf die Information, daß der spätere 3. Präsident, Thomas Jefferson, dem Stadtarchitekten Pierre Charles L’Enfant unter mehreren Stadtplänen als Inspiration für die Gestaltung von D.C. auch den von Karlsruhe vorlegte, das nämlich ebenfalls am Reißbrett entstanden war. Jefferson hatte diese Pläne 1788 von einer Europareise mitgebracht. Jetzt geht’s für mich also endlich zum Original.

Ein Insidertip führt mich zu einem Parkplatz, von dem aus ich in wenigen Minuten zu Fuß die 9.000 Zuschauer fassende Europahalle, vor der der Start erfolgen wird, erreiche. In der Halle erhalte ich am Infoschalter meine Presseakkreditierung und auch noch fix die Startunterlagen. Bald darauf bin ich lauffertig und beruhigt, im Gegensatz zu Norderney am vergangenen Sonntag, wieder mehr als 90 Sekunden Zeit zwischen Ankunft und Start zur Verfügung zu haben.

Karlsruhe, die ehemalige Haupt- und Residenzstadt des Landes Baden mit knapp 300.000 Einwohnern, ist fächerförmig um das Schloß angelegt und somit etwas Ungewöhnliches. Verwinkelte Altstadtgassen, wie wir sie aus gewachsenen Städten kennen, sucht man hier vergebens. Wir werden dies insbesondere auf den km 32 bis 38 sehen können, die uns um das Schloß führen werden.

Und auf noch etwas anderes Einzigartiges freue ich mich ganz besonders: Den 2. Karlsruher Tanzmarathon. Wie erstmals im Vorjahr werden erneut über 80 Tanzgruppen, Tanzvereine und Tanzschulen unterhalten, animieren und anfeuern. Heiße Rhythmen, Bollywood, Squaredance und vielerlei Folklore aus Nah und Fern sollen jedes Schwächeln schon im Ansatz verhindern und die Läufer quasi ins Ziel tragen. Für mich wird das eine echte Herausforderung werden. Also fotografisch, versteht sich. Ich habe schon mal den dicken Speicherchip und den Ersatzakku eingepackt, um möglichst viel Farbenprächtiges für Euch einzufangen. Wenn im Schnitt tatsächlich alle 500 m ein optisches Spektakel wartet, könnte das Erreichen des Ziels heute sehr lange dauern.

Am Start, der in zwei Wellen erfolgt (linke Straßenseite in drei Blöcken bis Zielzeit 4 Stunden und rechte Straßenseite über 4 Stunden und Ersttäter) treffe ich direkt den omnipräsenten blinden Didi, der heute von Joachim vom 100 MC geführt wird. Sie haben Daniel im Schlepptau, der heute seinen ersten Marathon laufen wird. Didi sucht noch für die Wochenenden 9./10. und 16./17. Oktober jeweils einen Führer, Zielzeit etwa 4:30 Std. Bezüglich der zu laufenden Marathons ist er flexibel. Kontaktaufnahme mit ihm über: ultrarunner[at]web.de.

Ich reihe mich in der ersten Welle ganz am Ende ein. Nach meinem zügigen Marathon vom letzten Wochenende wird der Genuß heute im Vordergrund stehen. Mal schauen, ab welchem km dieser Genuß wieder beendet sein wird... Nach etwa 10 Minuten überschreite ich die Startlinie, die ersten km führen über eine breite Ausfallstraße, wo sich die Läuferschar doch recht schnell auseinanderzieht. Bald sind wir in der „Kriegstraße“, ich sehe aber bis zum Ende keinen Grund, Stadt und Lauf denselbigen zu erklären. Darüber hinaus geht sie in die Kapellenstraße über und klingt schon wieder friedlicher.

Die ersten Glanzlichter – nein, das muß ja heute Highlights, besser noch „Äcktschen Poinz“ heißen – lassen nicht lange auf sich warten. Die ersten Mädels puscheln, hübsch anzusehen (also in Anbetracht meines hohen Alters sind selbstverständlich die Puscheln gemeint!). Zwei Unterführungen weisen jetzt schon darauf hin, daß Karlsruhe kein ganz ebenes Pflaster ist. Ohne Frage, der Kurs läßt bestimmt gute Zeiten zu, ist aber für Bestzeitenjäger nicht unbedingt optimal geeignet.

Chinesische  Drachen (mit Menschen drin) sehen klasse aus wie übrigens auch die km-Markierungen. Die sind nämlich nicht nur nüchtern/sachlich dargestellt, sondern jeweils auch mit einem toll künstlerisch, Comic-ähnlich gestalteten Plakat. Scheinbar sind die, was ich verstehen kann, sehr beliebt, denn an mindestens drei Stationen fehlt es, vermutlich geklaut. Aber ich mache mir dann doch mehr Gedanken über meine linke Wade, die mich die ganze Woche über geärgert hat. Aber dank Kompressionsstrumpf ist nichts davon zu spüren, was doch sehr beruhigt.

Karlsruhe 042

Nach 5 km treffe ich auf den Pumuckl, Dietmar Mücke, der wie so häufig mit Unterstützung Anderer beim Spendensammeln erfolgreich ist. „Das ist der Veranstalter vom Staffelmarathon in Bräpisch!“, stellt er mich seinem Mitsammler vor und nimmt mich in die Arme. Da geht mir echt das Herz auf, solch ein netter Kerl ist das. „Und das ist Anita Kinle“. Zum Schießen: In dieser Woche hatte ich erstmals Mailkontakt mit der „Chefin“ der Down Syndrom-Staffeln, um diese für unserer 2011er Lauf zu gewinnen und treffe sie hier zufällig. Die Welt ist wirklich klein!

Bald schon erfreuen einige Square Dance-Gruppen unsere Augen und drehen sich zu Country-Musik. Die ersten, mit zunehmender Laufdauer immer besser bestückten Verpflegungsstellen sorgen für den lebensnotwendigen Nachschub und bald schon verlassen wir das Stadtgebiet, denn der Lauf ist eher ein Mix aus Stadt- und Landschaftslauf. Eine gelungene Kombination, wie ich meine.

Allerdings, das fällt mir auf, hält sich das Zuschauerinteresse insgesamt doch sehr in Grenzen. Klar, auf dem platten Land erwartet man keine durchgehende Stimmung, aber auch im Stadtgebiet und bei dem heutigen guten Wetter sind nur recht vereinzelt Zuschauer anzutreffen. Dies wird sich im zweiten Abschnitt zwar noch etwas ändern und vor allem sollen die tollen Stimmungsnester in den ländlichen Abschnitten nicht unterschlagen werden, aber trotzdem. Von Berlin oder Hamburg will ich als Vergleich erst gar nicht sprechen, aber ähnlich große Veranstaltungen wie Köln, Mannheim, Luxemburg oder Münster sind da schon ganz andere Kaliber. Schade eigentlich und für mich so auch nicht nachvollziehbar.

Wir nehmen wieder eine Brücke und überqueren nach km 6 zum zweiten Mal die Autobahn 5 und werden für die paar Höhenmeter von orientalischen Tänzerinnen in bunten Kostümen entschädigt. Auch die Kleinsten puscheln schon und sind putzig anzuschauen. Der Hauptsponsor ist an mehreren Orten präsent und nutzt den berühmten Zatopek-Spruch, leicht ergänzt, für sich. Ich sehe „Mensch läuft“ und daher geht es auch direkt weiter. Drei kostümierte Läufer machen Stimmung, Brigitte kenne ich von Waldniel und Biel, das Mädel erfreut immer wieder durch originelle Kostüme. Nee, cool-krasse Outfits. Hammer.

Die erste von 4 Zeitnahmen (plus weiterer Sicherheitsstationen zur Vermeidung von Abkürzungen) erfolgt nach 10 km. Mit gut einer Stunde bewege ich mich im Bereich des Vernünftigen bzw. heute maximal Möglichen, schneller zu sein würde ich sicher bald sehr bereuen. Ein Tunnel schafft Atmosphäre und einige Waldwege mit festem Untergrund tragen nach dem Verlassen von Durlach zum Mix aus Stadt- und Landschaftslauf bei. Etwas später kommt eine tolle private Einlage: Eine gute Seele hat Kuchen gebacken und verteilt diesen an uns. Lecker! Bald schon beginnen mir die Anstiege über die Brücken zunehmend schwerer zu fallen und der Gedanke an die Restlaufstrecke beginnt mir zwar direkt keine Sorgen zu machen, aber die Laufbegeisterung ist heute eher weniger ausgeprägt. Was aber nur an meinem lädierten, nicht ausreichend regenerierten Geläuf liegt.

In Weiherfeld sitzen etliche Gruppen mit leckerem Essen in der Sonne. „Das sieht aber gut bei Euch aus!“ sage ich und fotografiere sie. Wie erhofft, verfehlt das seine Wirkung nicht und das eine oder andere Käsehäppchen findet den Weg zu mir. Trommlergruppen sind mehrere dabei und vereinzelt wurden auch die Vuvuzelas aus dem Sommer abgestaubt und reaktiviert. Vertraute, schräge Töne. Bei km 18 haben UNICEF-Aktive eine Spendenmatte aufgebaut und wer will, kann darüber laufen und ein gutes Werk tun.

Bulach besticht durch eine Vielzahl hervorragend restaurierter Fachwerkhäuser, die könnte man alle knipsen, sehr schön anzuschauen. Auch die Mädels, die sich beim Anblick meiner Kamera in Position werfen und wesentliche Teile ins rechte Licht rücken. Auf dem neunzehnten km kommen plötzlich von rechts drei Polizeimotorräder mit Blaulicht angebraust. Der Führende des „Afrika-Expresses“ eilt mit Riesenschritten herbei und kann von mir bildlich eingefangen werden. Wahnsinn, wenn ich überlege, daß der heute exakt doppelt so schnell wie ich unterwegs ist. Natürlich hinkt der Vergleich, aber trotzdem.

Bald darauf nähern wir uns erstmals dem Ziel, dem Beiertsheimer Leichtathletikstadion  und der davor liegenden „Weiche“, die die Halben von den Marathonis trennt. Liebend gerne wäre ich jetzt rechts abgebogen, aber Auftrag ist Auftrag und so wird tapfer geradeaus weitergelaufen. Gute Stimmung ist immer auch an den Staffel-Wechselstellen. Wobei einige, vor allem jüngere  Staffelläufer sich scheinbar doch arg blauäugig auf das Abenteuer Laufen eingelassen  haben, denn so mancher ist auf seinem Abschnitt nur noch schlurfend oder ganz wandernd unterwegs.

Optisch sehr schön ist zwischen km 21,5 und 26,5 der Uferweg am Flüsschen Alb, das immer wieder auf netten kleinen Brücken überquert wird. Von hinten nähert sich die 4:14-Kolonne; mit einem Zugläufer bin ich schön am Quatschen bis ich merke, daß er sich von mir ziehen läßt. Ich lasse ihn seine Arbeit machen und nehme wieder einen Gang heraus. Ab km 25 wird es dann für mich immer beschwerlicher. Was ich sonst im Laufen fotografiere, wird jetzt im Stehen getan und so immer wieder ein paar Sekunden verschnauft. Natürlich fällt das Anlaufen danach immer schwerer.
 

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Zurück ins Stadtgebiet werde ich durch einige schöne Gebäude abgelenkt, die Kunsthalle ist schon von außen eine echte Augenweide. Und das ist natürlich auch der architektonische Höhepunkt des heutigen Tages, das Schloß. Traumhaft. Gelb sticht es gegen den stahlblauen Himmel ab, der uns mit Sonne satt verwöhnt. Bei der Herfahrt heute Morgen waren es im Hunsrück ganze 3° gewesen, jetzt sind es im Schatten wohl knappe 20, die sich durch die Strahlung und die Windstille aber noch wärmer anfühlen.

Man schickt uns zunächst hinter dem linken Schloßflügel einige km durch den herrlichen Park, wo auf km 35 eine kurze Begegnungsstrecke zunächst den Blick auf die etwas weniger Langsamen erlaubt. Die sind alle genau so schlapp, die Gesichter sprechen Bände. Nach Umrundung des Schlosses kann ich noch den Blick darauf von vorne genießen und dann geht es weiter ins Zentrum. Leider sind die Straßen menschenleer. Natürlich bin ich im letzten Drittel des Feldes, aber dennoch wäre ein wenig durchgehende Unterstützung gut gewesen. Einige Tanzgruppen bemühen sich immer noch und freuen sich, von mir fotografiert zu werden.

Eine sehr nette Einrichtung gibt es ab km 37 auf den jetzt anstehenden letzten harten 5 km: Die „Marathonengel“. Hier konnte sich nämlich jeder mit einer Zielzeit von mehr als 3:45 Std. gegen ein kleines Entgelt von bis zu 3 selbstgewählten, mit Startnummern versehenen, Marathonengeln ins Ziel sowie den Läuferhimmel (Zielverpflegungsbereich) begleiten lassen. Den hätte ich heute auch gebrauchen können.

Einen noch nie erlebten Service gibt es etwa bei km 38, über den ich mich sehr freue. Jeder erhält ein Schälchen mit geschnittenem Obst, das mir hochwillkommen ist und sehr gut tut. Ein kopfsteingepflasteter Platz bietet noch einmal viel fürs Auge und auch fürs Bein. Etliche Zuschauer haben sich der Darbietung einer Showtanzgruppe zugewandt und zeigen uns den Rücken. Wer will es Ihnen verdenken? Puh, schon wieder eine Brücke. So insgesamt kommen bestimmt 100 Höhenmeter zusammen. Natürlich eigentlich ein Klacks, aber heute durchleide ich jeden einzelnen davon. Na, wenigstens führt die über den Zoo (km 39) und erlaubt einige schöne Fotos, u.a. von Elefanten. Aber ich muß weiter. Und wäre gerne noch ein wenig stehen geblieben.

Ein weiterer privater Verpflegungsstand gibt sogar Weizenbier aus, trotz des Bleigehalts schlage ich gerne zu. Nach rund 40 km sehe ich einen Marathonengel, stilecht mit Flügeln versehen, seinen Schützling ins Ziel begleiten. Also, das ist wirklich ein klasse Service und sei zur Nachahmung empfohlen. Die paar Euronen für eine offizielle Begleitung werden bestimmt viele gerne anlegen. Endlich ist die Weiche wieder da und jetzt darf auch ich abbiegen. Allerdings ist der Weg ins Stadion noch lang (zumindest empfunden). Zuschauer sind erfreulicherweise noch einige da, feuern an und sorgen so trotz schlurfenden Schrittes wenigstens noch für einen geraden Rücken und ein verkrampftes Lächeln meinerseits.
 

Nach 4:23 Std. habe ich mich durchgebissen und stolpere durchs Ziel. Das hat auch die Neunzehnjährige Jana, die heute in Begleitung des Herrn Papa als jüngste Teilnehmerin ihren ersten Marathon geschafft hat und von mir im Klub willkommen geheißen wird. Der Läuferhimmel – nein, „Runner's Heaven“ – ist wirklich klasse und hat ein großes Angebot, auch noch zu diesem relativ späten Zeitpunkt, parat. Viele nutzen das herrliche Wetter, essen, trinken und erholen sich auf der großen Wiese.

Ich schleppe mich zurück in die Europahalle und bemerke, daß einige schon das heutige T-Shirt anhaben, das mir gut gefällt. Beim Infostand frage ich ganz zart nach und die nette Dame hat dann auch eines für den Presseläufer übrig. Darüber freue ich mich sehr, ist es doch anlässlich des 2.500en Jubiläums von Pheidippides’ Lauf sehr schön gestaltet und – werbefrei! So etwas habe ich auch noch nicht gesehen.

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Der Rückweg dauert dann dank einer Vollsperrung anderthalb Stunden länger als die Anfahrt. So komme ich wenigstens noch in den Genuß einer Ortsdurchfahrt von Kandel, die mir im März als Läufer wesentlich schneller gelungen ist als heute staubedingt im Auto. Allerdings auch in umgekehrter Richtung.

Ich bereue keine Sekunde, dich ich in Karlsruhe verbracht habe. Ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis, eine engagierte und erfolgreiche Organisation sowie eine schöne Strecke reihen den Baden-Marathon zurecht in der Riege der besten deutschen Marathons ein. Schön wäre es, wenn die Karlsruher dies auch in größerer Zahl bemerkten und am Straßenrand präsent wären.

Diesen Bericht gibt es mit fast 250 Fotos auf marathon4you.de!

 

Streckenbeschreibung:
Zwei attraktive, unterschiedliche 21,1 km-Rundkurse mit vielen Glanzlichtern auf der zweiten Hälfte, insgesamt flach, aber etliche Unterführungen und Brücken, bestenlistenfähig.

Rahmenprogramm:
Marathonmesse

Weitere Veranstaltungen:
Teammarathon, Halbmarathon, 21,1 km Walking, EUCOR-Sonderwertung für einige zusammengeschlossene Universitäten.

Auszeichnung:
Schönes Funktionshemd (ohne Werbung!), attraktive Medaille, Urkunde über das Netz, Ergebnis-CD, Warenproben. Div. Sachpreise für die Schnellsten.

Logistik:
Kurze Wege, Gepäckaufbewahrung, freie Fahrt im ÖPNV am Sa/So, Zugläufer für 7 Zielzeiten, etc pp.

Verpflegung:
Top auf der Strecke und am Ende („Runner’s Heaven“), etliche private Verpflegungsstationen mit überraschenden Angeboten

Zuschauer:
Für einen Marathon dieser Größenordnung auffallend wenige, punktuell jedoch sehr gute Stimmung